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HglbmonZßliche Hundschgu^

unier Witivivkmig des Degriiiiders MevdiiiLiid Muemniiiis hei'ausgegeden uou

KAuI T ch u m s n n.

Desembrr-Hrfi <894- S. ^shvKang,

Lrscheint Anfang und
Mitte jedes Monats.

VrMllgeld: h d). 60 ^f. virBchähnl.

Anzeigen:

!-I0 Pf. f. d. -igesp. petitzeile.

Offmer Hrief mr den Kürqermeister einer dentscken Kteinstadt.

ii.

Sie wollen dns Runstgewerbe, nlso einen Zweig
der 'Rnnstnbnng fördern das fordert, dast Sie den
Rnnstsinn nberhanpt weeken nnd pflegen. Sie steben
anf dem Standpnnkte, daß eine gesunde Ännst eng
nüt einem gesunden Sinn für die Natnr nnd ihre
Schönheiten znsamnienhängt Äe innssen also auch
den Natnrsinn wecken und pflegen. 5>ie erkennen
ferner an, daß eine gesnnde Nunst nur die ist, die
> ans der volksseele cntspringt, Sie wollen ein volks-
tninliches Nnnstgewcrbe anbahnen helfcn ^ie innssen
also die volksseele überhanpt beleben ich glanbe,
ich drneke das für Zhre praxis anch ganz gut so aus:
Sie inüsscn den Lseiinatssinn wecken nnd pflegen!

Lin gesunder Lseiiiiatssinn, ein srischer Natur-
sinn, ein naiver, nrsprünglicher Nunstsinn, alle dnrch-
weht von einfachein, nicht voin Modesinn angekrän-
keltem Schönheitssinn einem ^inn, den Zie in der
Liebe znr bseimat, in der Lmpfänglichkeit für die
Natnr nnd in dem verständnis für die Lrzeugnisse
menschlicher Unnstfertigkeit zngleich mitivecken können
nnd müssen — das sind drei gnte Grundpseiler snr
das schöne Gebände, dessen Banmeister Sie werden
wollen.

Das kvünschenswerte ist ja nicht, daß Zhr
5-tädtchen ganz von Rnnstübung überfließe, sondern
daß das, was geleistet wird, gut ist: das Lrstrebens-
werte ist ja nicht, daß es zum gnten Ton in der Be-
völkernng Zhres Grtes gehöre, von Annst „mitreden"
zn können, weil nnn einmal der bserr Bürgermeister
nnd die ^sran Nürgermeisterin sich lebhaft dafnr in-
teressieren, sondern daß das, was an wirklichem Aunst-
sinn daselbst vorhanden ist, auf gesunde Bahnen ge-
lenkt nnd zur Bethätignng angereizt werde. Den
richtigen Ivertmesser fnr den Annstsinn eines Grtes
! giebt ja nicht die Slatistik der daselbst vorhandenen
„altdeutschen Zimmer" nnd „Rokoko-Salons nnd Bou-
doirs", der „stilvollen" Restanrants nnd der „groß-
artigen" prachtbanten, sondern vielmebr das Ver-

V .^ , _

hältnis zivischen der Natnr der Bewohnerschaft des
! Grtes nnd der künstlerischen physiognomie desselben:
ein Bancrndorf, in dcm wir an lhans, Gerät nnd
Tracht, auf (Zrundlage alter Rnnstübnngen, eigen-
tümliche Äußernngen natürlichen, noch hcnte geübten
Schönheitssinnes beobachten, kann in unserer knnst-
lerischen kvertschätznng ja bedeutend höher stehen, als
eine Rlcinstadt, die sich ein paar großstädtische Bantcn
nnd stilvolle Restanrants geleistet hat, die sonst aber
künstlerisch völlig unfrnchtbar ist.

öie haben sicherlich ja auch schon den eigentüm-
lichen Unterschied gesxürt zwischen der Lust, die nns
in so einem Tiroler oder oberbaverischen, ober-
sächsischen oder niedersächsischen Banerndorse umiveht,
ans deren schmucken Bänsern nns solch wohlthnendes
nrsprüngliches Schönheitsgefühl entgegenstrahlt, nnd
der §nft, die nns umfängt, wenn wir dnrch die
ööassen einer Landkleinstadt wandeln, die kein Dorf
mehr sein will, sondern der nächsten Großstadt es so
gleich, wie irgend inöglich, thnn will, deren ganze
Phvsiognomie uns aber nichts znruft, als „öd" nnd
nochmals „öd". Und es sind doch Leute desselben
volkes, desselben Äammes, desselben Geistes, derselben
Begabnng. 5ie haben ebensoviel Gelegenheit, etwa
angeborenes Schönheitsgefühl zn bethätigen, vielleicht
sogar mehr, sie haben dasselbe technische Geschick,
vielleicht sogar gleichsalls mehr! Rnd ein klein-
städtisches Lsaus kann mit den gleichen Rlitteln, wie
so ein Baucrnhaus, gleich anheimelnd nnd geschmack-
voll, gleich charakteristisch nnd charaktervoll ausge-
stattet werden, wie eben dieses, znmeist ist ein klein-
städtischer Nenban aber entweder xhiliströs, einfältig,
„einfach langweilig", wie ks. Zlllmers in seinem
„Marschenbuch" von einer Rleinstadt nnserer Rm-
gegend einmal sagt, oder er ist mit allerlei grotz-
städtisch-geschmackvoll sein sollendem Rram beklebt. Zn
ersterem Falle will das kfaus wenigstens nicht heucheln,
es .giebt sich als das, was es ja im Grunde ist, als
vier kvände mit Dach, Fenstern und Thüren, im

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