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unserer Finanzgenies ist in dem klaren Grundsatze er-
schöpft, den bereits jeder Proletarier nolens volens be-
folgt: nichts, oder doch so wenig wie inöglich aus-
zugeben!

Ist bei uns die pflicht, ein großes, inächtiges
Reich äußerlich glanzvoll zu vertretcn, wirklich eininal
gar nicht abzuweisen, so wird zufolge der Ungewobnt-
heit einer solchen Aufgabe oft irgend eine große
Duminheit geboren oder die Aunst dem absonder-
lichen Geschmack eines einzelnen straffen Ivillens zu-
liebe vergewaltigt.

Auch unsere Stadtverwaltungen inachen es nicht
anders und haben den schönen, breiten Iveg zur ver-
nichtung alles gcdiegenen Runsthandwcrkes, den dcr
„Subinission", längst als den bequeinsten erkannt, uin
das kvichtigste dieses Lebens, den Ronflikt nüt den
Linanzinächten, zu verineiden. Unter diesen Uinständen
gewinnt jeder Lall wirklicher Runstförderung durch
den chtaat ganz besondere Bedeutung. Zeigt er doch
vor allem einmal was geschehen kännte, wenn ....
sa, wenn!

Disses unglüekselige wenn fehlt denn auch nicht
bei dcr bedcutsamstcn Ausführung, welche das deutsche
Reich, vielleicht auf Zahrhunderte hinaus, zu lösen
hatte: beim Bau des neuen Reichstagsgebäudes.

kjier waren endlich einmal wirklich königliche
Nkittel vorhanden; hier war cin Rünstler, an dessen
Größe sich Unverstand und Neid vergebens reiben,
ein Rünstler, dem nichts zu groß dünkte für seine
Rraft, aber auch nichts zu klein, um es nicht init
liebender Sorgfalt durchzuarbeiten.

Dem Runstgewerbe winkten zahlreichc herrliche
2lufgaben und glücklicherweise ist der größte Teil
dieser dlufgaben in musterhafter lveise geläst worden;
sie alle aber durchzuführen wurde dem Aünstler
durch die merkwürdige und für einen gewähnlichen
Bterblichen nicht wohl verständliche Treiberei, den
Bau plotzlich eiligst fertigzustellen, verschränkt.

cho viel sich übcrsehen läßt, sind infolgedessen
gerade die Ausstattungen der weniger hcrvorragenden
Näuine im letzten 2lugenblicke fertig beschafft worden,
während die kostbarsten cktoffe, Uiöbel und Geräte
allcrdings durchwcg dcn Runstsinn paul kvallots er-
kennen lasssn. Und hierin liegt die eigentliche Be-
deukung des Ncichstagsbaues für das Runstgewerbe.
Zum ersten Male seit — ja, man kann fast sagen
seit chchinkel, ist die ganze Ausstattung eines Gebäudes
von königlicher Monumentalität in einheitlichem chinne
von einem bedcutenden Rünstler geleitet worden.

Der bjauptgewinn hiebei ist nicht sowohl in dcr
Schöpfung einer neuen Formenwelt zu erblicken, als
in der Rückkehr zu einfachen, großen und klaren Ge-
staltungen und in dcr Nückkehr zu höchster cholidität,
— Tigenschaften, die unter den bestehcnden verhält-
nissen dem Lurusgewerbe am chesten abhandcn kommcn
mußten.

Wallot ist kein radikaler Neuerer; so gut er das
große Säulenschema des Barockstiles unbedenklich auf-
nimmt, um den monumentalen Grundton des äußeren
Aufbaues uud der Wandelhalle zu gcwinnen, so gut
er die Lormenelemente der deutschen, italienischen,
französischen und spanischen Ncnaissanoe sich zu eigen
macht und dennoch mit diesen vorhandenen Aus-
drucksmitteln seine neuen Gedanken auszudrücken,

V

neue Nhythmen und Formenmelodien anzustimmcn
weiß: ebensogut lehnt er sich auch in den lverken
dcr Rleinkunst ohne Düfteln und Griginialitätssucht
an vorhandene Lormen an.

Nlan kann dies in gewissem ckinne bedauern,
namentlich inbezug auf die 2lrbeiten in bsolz, die mehr
als allc anderen in unserer Zeit einer im besten und
weitesten Sinne „gotischen" , d. h. materialgcmäßeren
2lusbildung bedürfen. Deit Beginn der Ncnaissanoe
haben Tischler und Arcbitekt sich wechselweise zu ihrem
ckchaden bceinflußt; erst nahm der Tischler die Archi-
tekturformen und verarbeitete ne zu quackeligem ck^piel-
zeug; dann borgte die Architektur diesen Rleinkrain
mit dem Schnitzwerk dazu wieder zurück, bis des
Leimens und ckchnitzens kein Lnde war.

Ls läßt sich nicht leugnen, daß auch lvallot ge-
legentlich dem ljcflz allzuviel zugemutet. Neizvoll ist
ja, wie bei einem Rünstler von seinem Formensinn
selbstverständlich, auch diese zuweilen ins Überreiche
und Mesquine hinüberspielende Lormenwelt, wie sie
sich namentlich im Getäfel der Lrfrischuugsräume be-
merkbar macht; der Bitzungssaal aber hat sicherlich
dadurch an Nuhe und Monumcntalität eingebüßt.
Lsier gerade wäre wahrscheinlich eine konstruktivere
2lusbildung sehr am platze gewesen, die auch die
Gleichmäßigkeit des Gindruckes in allen mit bsolzwerk
ausgestatteten prunkräumen angenehm durchbrochen
hätte, eine Ausbildung, wie sie, natürlich sehr cum
Zrano salis gesprochen, in den UArtschaften unter den
Berliner chtadtbahnbägen oder in den kvarteiälen des
cktraßburger Zentralbahnhofes mit großcm Trfolg
durchgeführt ist.

Dagegen müssen allerdings die Thüren zur
lvandelhalle, die pannele des Bundesratssaales und
die Gestühle in den Gberlichthallen als über alles
Lob erhabene Arbeiten bezeichnet werden.

Das Mobiliar ist im allgemeinen von Architektur-
bildungen erfreulich ferngeblieben und zeigt durch-
gehends große gesunde Lormen, ohne gerade unge-
wöhnlich neues zu bieten. Bei den chitzmöbeln ist mit
vorliebe die für einen strengen „Tektonen" nicht ganz
einwandfreie polsternng ohne sichtbares Nahmenwcrk
ausgeführt, häusig aber auch ist sie mit ornainentalen
Nagelbcschlag wie bei dcn sogenannten Nubcnsstühlcn
dem Nahmenwerk eingefügt; in vorzüglicher Weise
ist oft cine Belebung durch Bortcn in einfachen wohl
abgestimmten geraden Linicn erreicht.

Ivesentlich mehr Befruchtnng, auch in formaler
Beziehung, werden dem Rnnstgewerbe dic Arbc-ten
in Netall bieten, bei welchen cine durchaus eigen-
artige Derschmelzung gotischer Ronstrnktionsprinzipien
mit Nenaissanceformen bemerkbar ist. Neben dcn
schongezeichneten Gittern, besonders der Treppen zu
den Lsof- und Diplomatenlogen, neben den ganz vor-
trcfflichen, rein konstruktiv durchgeführten Lenster-
beschlägen, sind cs vor allem dic Bcleuchtungskörper,
in denen ganz außerordentlichcs geleistet worden ist.
Mit besonderer Vorliebe ist das romanische Motiv der
Ringkrone für die elektrische Beleuchtung in manig-
fachsten ^lbwandelungen ansgebildet worden; der
große Lichtkranz für den ckfltzungssaal, der noch nicht
fertiggestellt ilt, muß als eine der allergenialsten
chchöpfungen kvallotscher Rleinkunst — es ist fast nicht
 
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