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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 10.1899

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Kleine Mitteilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4879#0067
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KLEINE MITTEILUNGEN

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Notenpult, in Holz geschnitzt und polychromiert von Bildhauer
Philipp Andreas Eberts, Leipzig.

modernen Kunstgewerbe allenthalben entflammt wurde. Mehr
als 35 Jahre, seit dem 7. März 1863, war Erzherzog Rainer
Protektor des Österreichischen Museums, seit 1884 Protektor
des Kunstgewerbe-Vereins. Bei dem augenblicklichen Kon-
flikte wird wieder an dessen Gründlingsverhältnisse erinnert.
Als eines Tages im Niederösterreichischen Gewerbe-Verein
der Plan auftauchte, in der inneren Stadt von Wien ein
Verkaufshaus für das Wiener Kunstgewerbe zu gründen,
hegte man im Österreichischen Museum die Befürchtung

einer Abnahme des Einflusses dieser Anstalt. Deshalb wurde
unter der Ägide des Museums der Kunstgewerbe-Verein ge-
gründet und im Gründungsstatute als seine Aufgabe be-
zeichnet, „im Anschlüsse an das K-K. Österreichische Museum
für Kunst und Industrie die gesamten Interessen der
heimischen Kunstindustrie zu fördern und dieselben nach
jeder Richtung hin zu vertreten". Auf die letzteren Worte
legt man augenblicklich ein grosses Gewicht. Sämtliche
bisherige Direktoren des Museums, Rudolph von Eitelberger
sowohl wie Jacob von Falke und Bruno Bucher, sowie ein
Teil der Beamtenschaft der Anstalt waren bei der Thätigkeit
des Vereins hervorragend beteiligt. Der Verein erhielt somit
von Seiten des Museums eine starke moralische Förderung,
wie auch andrerseits das Museum durch den Verein in will-
kommener Weise unterstützt wurde. Einen direkt materiellen
Finfluss konnte das Museum insofern auf den Verein aus-
üben, als es Vorschläge über jene Bestellungen an Kunst-
gewerbetreibende zu erstatten hatte, die aus dem Fonds,
der aus den Gebühren für die Verleihung von Hoftiteln an-
gesammelt wird — aus dem Hoftitel-Taxfonds — vergütet
werden. „So arbeitete denn bisher," wie eine Mitteilung der
„Neuen Freien Presse" besagt, die von einer Persönlichkeit
ausgeht, „die durch ihre Stellung in der Lage ist, die Ent-
wicklung des Kunstgewerbe-Vereines in allen ihren Phasen
zu kennen und die den Streit zwischen dieser Korporation
und Herrn Hofrat von Scala mit unparteiischen Blicken be-
trachtet", „das Museum Schulter an Schulter mit seiner
Schöpfung, dem Kunstgewerbe-Verein, und wenn in den
letzten Jahren die Rede von Gegensätzen war, die zwischen
den Wiener Kunstgewerbetreibenden zu Tage traten, so bezog
sich dies nur auf Reibungen zwischen den Mitgliedern des
Kunstgewerbe-Vereines und jenen Kunstgewerbetreibenden,
die im Niederösterreichischen Gewerbe-Verein ihren Schwer-
punkt suchten. Dem Einflüsse des konzilianten Hofrates
von Falke gelang es, diese Gegensätze wenn auch nicht ganz
aus der Welt zu schaffen, so doch zu mildern, so dass
schliesslich zwischen den verschiedenen Gruppen des Wiener
Kunstgewerbes freundschaftliche Beziehungen herrschten.
Diese Situation fand der neue Direktor des Museums, Hof-
rat von Scala, bei seinem Amtsantritte vor. Er ist ein weit-
gereister Mann, der viel gesehen hat, dessen Blick nicht auf
der Scholle haftet. Die lokalen Strömungen haben für ihn
kein Interesse, und sein ganzer Charakter prägt sich darin
aus, dass er diktatorisch auftritt. Er kam mit einem neuen
Programm. „Ihr verknöchert," sagte er zu den Kunstge-
werbetreibenden, „Ihr müsset euch in der Welt umsehen,
müsset lernen und euren Geschmack, eure Arbeiten zu
modernisieren trachten." Er liess es auch nicht bei Worten
bewenden, holte Möbel aus England, liess solche nach eng-
lischen Originalen in Wien anfertigen und hier verkaufen.
Mit dieser Saat erntete er Sturm. Das Wiener Kunsthand-
werk geriet in Harnisch, machte doch das dem Schutze der
heimischen Kunstarbeit gewidmete Museum den Wiener
Kunstgewerbetreibenden Konkurrenz. Die Wiener sagten:
Dieser kalte, schmucklose englische Stil mag für England
passen, auf den warmen, formen- und farbenfreudigen Wiener
Boden aber kann er nicht verpflanzt werden. Und wenn
schon Reformen durchgeführt werden sollen, so muss das
allmählich geschehen. Auch der Geschmack des Wiener
Publikums wird sich nicht von heute auf morgen ändern.
Was sollen wir denn mit unseren Arbeitern machen, die wir
nach jahrelangen Bemühungen zu Meistern in der Beherrschung
der bei uns beliebten Stilformen herangebildet haben? Der
Gegensatz zwischen Hofrat von Scala alsDirektor desMuseums
und dem Kunstgewerbe-Verein war da. Der erstere zog

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