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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Rauecker, Bruno: Die Bedeutung des Kunstgewerbes für den Gang und Aufbau des deutschen Handels
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0011

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DIE BEDEUTUNG DES KUNSTGEWERBES
FÜR DEN GANG UND AUFBAU DES DEUTSCHEN HANDELS
VON DR. OEC. PUBL. BRUNO RAUECKER IN SOLLN BEI MÜNCHEN

DIE Entstehung des Handels läßt sich, soweit unsere
wirtschaftsgeschichtlichen Kenntnisse reichen, als
eine Art scheuen, mystischeii Austausches seltener
stammesfremder Waren bezeichnen, der in der Form
eines stummen Handelsverkehrs in den ersten geschicht-
lichen Zeiten vorgenommen wurde. Die einzelnen Stämme,
zumeist von ihren Häuptlingen vertreten, gingen den gegen-
seitigen Austausch ein, hinterließen die gesuchten Waren
an der Grenze ihres Stammes und holten die selbst be-
gehrten im Gegenpart herbei. Diese Form des friedlichen
Verkehrs fand ihre Ergänzung bei religiösen Veranstal-
tungen und kriegerischen Beutezügen, denen sich jeweils
der Handel gerne anschloß. □
n Angesichts der völligen Rechtsunsicherheit,der zügellosen
Beutegier der kriegerischen Veranstaltungen, aber auch ange-
sichts der Unvollkommenheit der damaligen Transportmittel
und Aufbewahrungsmethoden versteht es sich von selbst,
daß der Handel jener Zeiten ausschließlich als Gegenstand
seiner den Austausch hochwertiger Waren ansah. Neben
Gewürzen, Stoffen und Frauenhaaren bildeten die Gegen-
stände des Kunstgewerbes: Edelmetalle, roher und ver-
arbeiteter Bernstein, Schmucksachen, verzierte Waffen usw.
die Haupthandelsartikel. Denn an ihnen einzig war, gelang
der Umsatz, ein Gewinn zu erzielen, der das Risiko des
Händlers aufwiegen konnte. n
□ War also auf der einen Seite die Begehrlichkeit der
Menschen nach Gütern, die nicht der Befriedigung der un-
mittelbaren Lebensnotdurft dienten, sondern der Aus-
schmückung des Daseins, — war dieser menschliche Trieb
Urgrund für die Entstehung des Handels überhaupt, so
führte er auch in unmittelbarem Gefolge die ersten gemein-
samen Aktionen beruflicher Art herbei, die außerhalb der
religiösen oder Lehensgemeinschaft — diese beiden größten
Gegenseitigkeiten der ältesten Zeiten — standen und
weiterhin die durchgreifendsten Veränderungen in Recht


und Sitte der Völker erzeugen sollten: Die genannte Un-
sicherheit, jeglicher Mangel an Schutz für Leib und Leben
im fremden Land, die Gründung größerer Handelsnieder-
lassungen (Faktoreien) nötigen die Kaufleute der Stämme
zu engem Zusammenschluß auf ihren Handelszügen einer-
seits (Karawanen), zu einer Art vorkapitalistischer Absatz-
genossenschaft andererseits. Die seefahrenden Nationen
und Stämme aber treten zu Admiralschaften zusammen
und legen somit den Grund zu den ersten Handelsflotillen.
□ Erst allmählich, mit der Agglomeration der Bevölkerung
in den Städten, dem Zerfall der Mark- und Stammesge-
nossenschaften, der fortschreitenden Arbeitsteilung und der
allseitig beginnenden Bildung interlokaler Märkte, setzt auch
der Handel in Gütern der täglichen Bedarfsdeckung ein.
Er, der bisher als Luxushandel temporären Charakter an-
genommen hatte, hier auftauchte, um nach kurzer Zeit so-
gleich wieder zu verschwinden, wird zu einer dauernden
Institution als Handel in Massenartikeln des Alltags.
Doch sondert sich auch jetzt von ihm als ein gleichbleibend
kühner Funktionär der damaligen Wirtschaftsordnung, der
Handel in feinen Gegenständen ab, die zum großen Teil aus
Gegenständen des Kunstgewerbes bestanden. Denn auch
in diesen Jahrhunderten des sich entwickelnden und ent-
wickelten Mittelalters erfolgte der Regel nach »die Deckung
des Grobbedarfs innerhalb der Grenzen des Dorfs oder
des Fronhofs oder der Stadt (und ihrer Landschaft),
ruhte also auf lokalwirtschaftlicher Grundlage, während der
Feinbedarf, soweit er nicht durch die Produktion auf den
Herrenhöfen in eigenwirtschaftlicher Form befriedigt wurde
oder der Fernhandel für Herbeischaffung der hochwertigen
Güter sorgte, von Handwerkern gedeckt wurde, die von
jeher für einen interlokalen oder internationalen Markt ar-
beiteten.« (Sombart, Luxus und Kapitalismus S. 139.) □
□ Diese besonderen dem Handel förderlichen Eigenschaften
des »Feinbedarfs« der damaligen Zeit, sind eben diejenigen,
die einen besonderen Gewinn am Handelsgute zuließen,
auch wenn seine Beschaffung mit hohen Kosten, sein Ver-
kauf mit höchsten Preisen eng verknüpft waren: Affektions-
werte, die im Hinblick auf die Bedarfsdeckung der damaligen
»Verwöhnten« zugesprochen wurden. Jene Ablösung aber,
die den Handel in Luxusgegenständen als gesonderten
Bevollmächtigten vom übrigen Handelsgebiet abtrennte, ihn
als länderverknüpfenden »Wirtschaftsfunktionär« über die
Länder der damals bekannten Erde sandte, wies ihm da-
mit die kulturell bedeutsamsten Vermittelungsaufgaben zu.
□ Diese weitausholende Bedeutung, die dem Luxus als
Triebkraft zum Ausbau der internationalen Handelsbe-
ziehungen innewohnte, mußte aber weiterhin auch in einer
Zeit, welche das Ideal der geschlossenen Staatenwirtschaft
auf ihre Fahne geschrieben hatte und vom internationalen
Handel nichts wissen wollte, von größter Tragweite sein.
In der Tat sehen wir im Zeitalter des Merkantilismus seit
dem Ende des 16. Jahrhunderts Luxusverbote als handels-
polizeiliche Vorschriften eine durchgreifende, wenn auch
praktisch wenig wirksame Rolle spielen. Sully, der Freund
und Minister Heinrichs IV. von Frankreich, hat es rnndweg
ausgesprochen: Aufwandgesetze seien ein Hauptmittel, der
durch den Ankauf fremder Kostbarkeiten veranlaßten Ver-
armung des eigenen Landes zu steuern. Überall, in Eng-
land, Frankreich, Österreich und Dänemark, finden wir be-
reits im 16. Jahrhundert Aufwandsgesetze unter diesen
Gesichtspunkten, die naturgemäß die schwerste Schädigung

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