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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Behne, Adolf: Die Säule
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0151

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DIE SÄULE
VON DR. ADOLF BEHNE

AN allen Anschlagsäulen klebte voriges Jahr als Symbol
der Baufach-Ausstellung in Leipzig eine große Säule
mit ungefähr korinthischem Kapitell. Ist das nicht
merkwürdig? In ihrem Inhalte ist die Leipziger Ausstellung
doch absolut modern. Sie hat sich in den Dienst der
modernsten aller Baustoffe gestellt und befaßt sich in ihrer
wissenschaftlichen Abteilung mit den aktuellsten Problemen!
Kann für sie also die antike Säule als geeignetes Symbol
gelten? Diese Säule war ausdrucksvolle Form einer Zeit
ohne Beton und Eisen, ohne Maschinenhallen und Ingenieur-
bauten, ohne Geschäftscity und Gartenstädte! Hat sie mit
einer Revue moderner Baukunst irgend etwas zu tun?
Sicherlich nicht das geringste, und die Tatsache, daß
sie trotz alledem zum Signet der Leipziger Ausstellung
gewählt wurde, beweist nur, wie sehr noch immer die
Anschauung mächtig ist, nach der die Säule das repräsen-
tativste aller Bauglieder, das unumgängliche Ingredienz
jeder Architektur, ja recht eigentlich der Inbegriff aller
Baukunst ist! Einer solchen Anschauung mußte allerdings
die Säule als das gegebene Plakatsymbol einer Baufach-
Ausstellung erscheinen !
Und doch haben wir schon einmal eine Zeit gehabt,
in der die Säule so gut wie nichts bedeutete. Die gotische
Baukunst kennt kaum eine Säule! An ihre Stelle traten die

Pfeiler, die Gurte der Gewölbe, die Strebebogen — ein
sich zusammenschließendes System von konstruktiven Ge-
bilden, durch welche ein einheitlicher Strom von Kraft und
Energie fließt. Nur, daß die Verzweigungspunkte eben
knapp markiert werden. Für ein ausgesprochenes Kapitell
ist hier kein Raum mehr, es würde nur ein Hindernis im
Strombett sein. Und der individuelle, selbstbewußte Körper
der antiken Säule ist gleichfalls verschwunden — er hat
dem kollektiven Pfeilerbündel Platz machen müssen. Nicht
mehr spielen die leichten Kanneluren über die kompakte
Form, sondern nach der Anzahl der Gewölberippen und
der Bogengliederungen zerfällt die Stütze in parallel
laufende, unendlich schlanke und dünne Masten, deren
Zusammenhalt ein relativ sehr loser ist!
Ein größerer Gegensatz als die antike Säule und der
gotische Pfeilerbündel läßt sich kaum denken. Beide sind
sie Ausdruck einer klassischen, d. h. einer vollendet
konsequenten Bauweise, die Säule der griechischen Kon-
struktion, die zwischen zwei senkrechten Stützen nur das
wagrechte gerade Gebälk als Verbindung kannte, der
Pfeilerbündel der gotischen Geivö/öearchitektur.
Gewölbearchitektur war ja auch schon die romanische
Baukunst, ja bereits die römischen Architekten verstanden
die Kunst des Wölbens. Aber die neue Technik fand hier

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