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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Behne, Adolf: Die Säule
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0152

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noch nirgends den adäquaten Ausdruck durch eine neue
Form! In der romanischen Kunst finden wir noch die
Säule mit dem Bogen kombiniert. Das ist aber eine Ver-
mischung heterogener Elemente und Beweis für den Uber-
gangscharakter dieser Zeit. Die Säule ist nun einmal ein
Resultat der GeM/Aarchitektur. In dieser herrscht zwischen
Stütze und Last ein offener und deutlicher Gegensatz.
Beide sind scharf voneinander abgesetzt und in sich
selbständig. Sie haben nichts miteinander gemein: über
den vertikalen Stützen lagert die horizontale Last des
Gebälkes! Da war es ganz logisch, jedes Glied individuell
auszugestalten, der Stütze Fuß, Rumpf und Haupt zu
geben.
Aber die Rolle der Stütze wird eine ganz andere, wenn
sie statt des geraden Gebälkes den einen Schenkel eines
Bogens aufnimmt. Dann ist von einem absoluten und
direkten Gegensätze zwischen Last und Stütze keine Rede
mehr. Die beiden haben nun doch manches miteinander
gemein! Der Bogen setzt die Richtung der Stütze zunächst
noch eine Weile fort, allmählich leitet er sie in eine andere
Richtung über, er steigt dann, ohne einen Stillstand in
seinem Laufe nötig zu haben, auf der Gegenseite wieder
langsam in die Senkrechte zurück. An die Stelle offen
gegensetzlicher Elemente ist ein gemeinsamer Fluß ge-
treten! Und deshalb ist es eben widersinnig, hier die
Stütze als ein Individuum zu gestalten, das sich durch ein
Kapitell gegen die Umgebung absperrt. In Wahrheit gibt
es in der Bogenkonstruktion ein solches »Sich-Absperren«
gar nicht. Und deshalb ist des weiteren erst die gotische

Architektur als konsequente Gewölbebaukunst anzusprechen.
Aber die Säule hat nach der Gotik wieder Eingang in
die Architektur gefunden. Sie kam mit der Renaissance
aus Italien wieder zu uns. Bezeichnend genug nämlich
war der Italiener auch in der Gotik niemals von der Säulen-
form abgekommen. Ihm lag es so sehr in Fleisch und
Blut, abzugrenzen und das Einzelne in dieser oder jener
Form zu individualisieren mit Fuß und Rumpf und Kopf,
daß er diesem Verlangen die Konsequenz der Gewölbe-
architektur leichten Herzens zum Opfer brachte. Man darf
getrost sagen, daß es eine italienische Gotik im eigent-
lichen Sinne kaum gibt. Die Gotik war dem italienischen
Formgefühl eine fremde Welt. Auch wo es äußerlich den
Spitzbogen annahm, blieb es dem eigentlich Gotischen
innerlich meilenfern. Wo gibt es in Italien einen gotischen
Innenraum, der sich einem nordischen von selbst nur
durchschnittlicher Qualität vergleichen ließe?
So wie der Italiener die Gotik annahm, so der Deutsche
die Renaissance. Hier wie dort handelt es. sich um eine
äußerliche Übernahme. Nach einer Zeit maßloser Über-
schätzung der deutschen Renaissance sehen wir ja heute
diese Periode unserer Baukunst mit recht kritischen Augen
an. Das Grundgefühl des Deutschen ist vom innerlichen
Kunstbegriff der Renaissance weit entfernt. Kein Bau
in deutscher Renaissance behauptet sich neben S. Lorenzo
zu Florenz, neben der Pazzikapelle, neben der Madonna
delle Carceri in Prato. Mehr und mehr bricht sich die
Erkenntnis Bahn, daß der Italiener in allen Wandlungen
des Geschmackes ein Mann der Renaissance, d. h. der

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