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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Rauecker, Bruno: Die Bedeutung des Kunstgewerbes für den Gang und Aufbau des deutschen Handels
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0013

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regeln wirken, die auf die Produktion besserer und höchster
Qualitäten abzielen. Denn es ist ohne weiteres deutlich:
Verfeinerte Güter kommen den Bedürfnissen einer kapital-
kräftigeren Schicht entgegen, die — bei der relativ hohen
Kaufsumme, welche sie bereit ist ihrer Laune, der Mode
oder dem tatsächlich vorhandenen Kulturempfinden nach
guter Ware zu opfern — mit Murren, jedoch ohne allzu-
viel Beschwerden auch noch den Zoll begleichen wird,
den ihr ersehntes Gut zahlen muß, bevor es zu ihr gelangt.
a Aus diesem Grunde auch wird eine halbwegs einsichtige
Zollpolitik, die nicht aus fiskalischen Gründen, — d. h. um
Geld in die Staatskasse zu bekommen —, sondern dem
heimischen Gewerbe zu lieb Zölle auflegt, zunächst die-
jenigen Gewerbe zu schützen versuchen, für die die Mög-
lichkeit zur Verfertigung im eigenen Lande vorliegt, also
nicht die Luxusgewerbe. Denn der Affektionswert, der den
Luxusgütern beigelegt wird, hält ihnen die Leiter, auf
denen sie behende über noch so hohe Zollmauern klettern
können. □
□ Endlich einmal scheinen auch die deutschen Behörden
im Auslande an die Bedeutung der Geschmacksproduktion
für den deutschen Export offiziell zu denken. Die Wander-
ausstellung des deutschen Museums für Kunst in Handel
und Gewerbe, Hagen i. W., hat im letzten Jahre in den
Vereinigten Staaten ein solches Interesse für deutsches
Kunstgewerbe ausgelöst, daß nicht nur pekuniäre Erfolge
erzielt wurden. Vielmehr ist auch die Stimmung der kaiser-
lichen Vertretung in den Staaten, die vorher ausdrücklich
sich zur Skepsis bekannte, zugunsten der Qualitätsförderung
des deutschen Handels umgeschlagen. Von seiten des
Museums wird, wie verlautet, im Einverständnis mit der
kaiserlichen Regierung eine große deutsche Verkaufsaus-
stellung in Amerika geplant, die auf einem Ausstellungs-
schiff ihre leicht bewegliche Unterkunft finden soll. □
□ Daß aber auch der Inlandsmarkt der deutschen
Geschmacksproduktion in weitem Rahmen offen steht,
mögen die folgenden Stellen aus Handelskammerberichten,
die zumeist dem vorerwähnten Buche Pantzers verdankt
sind, erweisen. □
□ Der Handelskammerbericht für Berlin 1909 sagt im Hin-
blick auf den Artikel »Tischwäsche« aus, daß für Luxus-
ausführungen noch höhere Preise bezahlt wurden als je
zuvor. Im Handelskammerbericht für Chemnitz 1908 steht
auf S. 104: ». . . nur in feinen, in englischem Geschmack
gemusterten Blusenstoffen fanden lebhafte Umsätze statt...«
Die Handelskammer Köln äußert sich in Heft 5, 1909,
S. 603: ». . . nur teuere Metall-, Phantasie- und farbige Ar-
tikel wurden bevorzugt, die in größeren Farbensortimenten
gekauft werden mußten.« (Über Spitzen und Tülle). —
Höchst bedeutsam erscheint S. 223 des Handelskammer-
berichtes für Mannheim 1910. »Es wurde namentlich nach
dem Auslande zu Preisen (Tapeten) verkauft, welche direkt
als verlustbringend bezeichnet werden können. Die berich-
tende Firma hat einen Ausgleich durch Verbesserung der
Qualitäten, durch Schaffung von Spezialsorten ..., durch Ver-
vollkommnung der Fabrikate in künstlerischer Beziehung . . .
zu schaffen gesucht, so daß im großen und ganzen eine
kleine Erhöhung des Exports zu verzeichnen ist.« Im
Handelskammerbericht Nürnberg 1909 heißt es: »Vorzugs-
weise sind nur gediegene und zum Teil auch mehr größere (!)
Kunstgegenstände verkauft worden, als dies in früheren
Jahren der Fall war. Man darf mit Genugtuung konsta-
tieren, daß der Geschmack des Publikums ein höheres Ni-
veau erreicht hat und demgemäß auch künstlerische Ent-
würfe und solide Ausführungen von den Käufern bezahlt
und gewürdigt werden.« Dieselbe Handelskammer glaubt
(1909, Bd. II, S. 6) zu bemerken, daß sich der amerika-
nische Geschmack »immer mehr den Erzeugnissen des

deutschen Kunstgewerbes zuwendet.« Auch Dresden
meldet 1909, daß bei »sonst schwacher Beschäftigung nur
die Kunstgießerei gut beschäftigt« war. »Kunstgegenstände
aus Metall fanden flotten Absatz.« Selbstverständlich ver-
anlassen in München die künstlerischen Traditionen des
Ortes, sein Ruf als Kunstätte, die Art und Größe des
Fremdenverkehrs, die Handelskammerberichte fortlaufend
auf die Bedeutung des Handels in Kunst- und kunstgewerb-
lichen Gegenständen hinzuweisen. Die einzelnen Stellen
hier anzuziehen würde ermüden. — Doch in der Tat: So
neu und überraschend für die Mehrzahl der Handelskreise
diese zum Teil grundsätzlichen Bekenntnisse der Kammern
sein mögen, — weitausschauende Behörden zeigen vor
100 Jahren bereits Ermunterungen an, die einer Rund-
schrift des deutschen Werkbundes »Zur Durchgeistigung
der deutschen Arbeit« aus dem Jahre 1912 entnommen
sein könnten. Es schreibt z. B. der alte J. G. Krünitz 1793
in seiner »Technisch-ökonomischen ^Enzyklopädie« Bd. V,
S. 111, Brünn: »Sie — die Kunst — gibt unseren Fabriken
schöne Formen und den Manufakturen geschmackvolle
Dessins, die unseren Waren den Vorzug vor ausländischen
verschaffen, damit sie von unseren Nachbarn gesucht und
den ihrigen vorgezogen werden . . . Deshalb muß sie
hauptsächlich in einem Lande getrieben werden, welches
nicht durch eigene Produkte sich Bequemlichkeit, Überfluß
und Reichtum verschaffen kann.« Und in den Jahren
1821—1830 wurde in Berlin von der »Königl. technischen
Deputation fürGewerbe« ein Werk herausgegeben unter dem
Titel »Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker«: Karl
Friedrich Schinkel zeichnete verantwortlich. Auch dort heißt
es: »So wie die höhere Vollkommenheit der Ware über-
haupt bei gleichen Preisen den Absatz sichert, so bewirkt
ihn derjenige Teil derselben, der aus der Form entspringt
und der Ware den höheren Reiz gibt, in einem höheren
Maße. Wer die tüchtigste und zugleich die schönste Ware
fertigt, darf auf sicher bleibenden Absatz rechnen, wie
auch Unkunde, Mode und Roheit der Käufer ihren Einfluß
auf die Wahl beim Kaufe üben mögen.« — □
*
n Im Vorhergehenden ist versucht worden, die Zusam-
menhänge zwischen Kunstgewerbe einerseits, Gang und
Rentabilität des Handels andererseits, in ein wirtschafts-
kritisches Licht zu rücken. Im folgenden soll einiges
gesagt werden über die Verknüpfungen zwischen dem Kunst-
gewerbe und den Unternehmungsformen der Handelsgeschäfte.
□ Zwei Grundtatsachen sind es, die dem Wirtschafts-
forscher unserer Zeit vor Augen treten: die beschleunigte
Entwicklung des Handels mit kunstgewerblichen Gegen-
ständen zum Großbetrieb und die verstärkte Ausschaltung
des Zwischenhandels im Verkauf kunstgewerblicher Waren,
d. h. der unmittelbare Absatz vom Produzenten an den
Konsumenten — beides in Parallele gesetzt zu der allge-
meinen Entwicklung der Handelsformen. °
□ Leider bietet uns die deutsche Reichsstatistik und die
ihr nachgeahmten Statistiken der Einzelstaaten und Städte,
keinerlei Anhalt zu einem zahlenmäßigen Beweis der eben
betonten Hypothese. Wir sind, wie so oft im Wirtschafts-
leben, auf private Untersuchungen, unsere Augen und
unseren gssunclen Menschenverstand angewiesen. — □
□ Welche Gründe sprechen zunächst für die Entwicklung
des kunstgewerblichen Handels zum Großbetrieb? □
□ 1. Die kapitalistische Produktionsweise, in der wir leben,
hat auf der Grundlage der freien Konkurrenz eine stark
sinkende Preistendenz im Gefolge gehabt. Der moderne
Warenhandel sucht den Ausfall, den ihm diese Erscheinung
am Handelsgewinn des Einzelproduktes eintrug, auszu-
gleichen durch Steigerung des Umsatzes bei abnehmendem
Zuschlag auf den Einzelgegenstand. Mit anderen Worten:

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