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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Mhe, Herbert: Das moderne Porzellan der Berliner kgl. Manufaktur
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0055

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seine eigene königliche Manufaktur schuf, und somit die
Seltenheit des Porzellans an sich mit den Jahrzehnten
schwand, so trat an Stehe dessen die Wertschätzung der
einzelnen Fabriken, die Kenntnis des verschiedenen Ur-
sprungs; die Variante in der Materie und der besondere
Stil des Dekors schufen aufs neue den alten, interessanten
Reiz, der dem Porzellan seit seiner Entdeckung anzuhaften
scheint: des Seltenen, Kostbaren und ein bißchen Ge-
heimnisvollen !
Man kann sagen, daß ein Mensch von gestern, der
Kultur besaß, die Schönheit der Dinge, ihre Kostbarkeit
schätzte, das Zarte und Zerbrechliche mit einer fast lyrischen
Liebe aufnahm, stets das Porzellan an die erste Stelle
setzte. Es ist verständlich, daß einmal ein Enthusiast
das Porzellan mit einer schamhaften und zarten Sechzehn-
jährigen verglichen, und nicht poetische Vergleiche mit
der weißen glatten Haut junger Menschen gescheut hat. Man
braucht gar nicht einmal von dekadenter Feinfühligkeit zu
sein, um ein fast erotisches Moment in der Wirkung des
Porzellans zu spüren. Beweisen das nicht die vielen Dar-
stellungen nackter Figuren? Hat das sogenannte Biskuit
nicht eine seltsame Ähnlichkeit mit der Stumpfheit mensch-
licher Haut? Ich glaube sehr wohl, daß die Häufigkeit
der Darstellung des figürlichen Nackten in Porzellan nicht
bloß durch den äußerlichen Stil, sondern auch durch die

bewußte Empfindung sich erklären könnte, daß das Por-
zellan als Material den erotischen Reiz ganz besonders
durch diese merkwürdige Seite ihres Wesens unterstützt.
Man sieht, noch heute will das Vergnügen der Geheimnis-
krämerei im Porzellan nicht schwinden . . .
Es muß noch vor fünfzig Jahren der Mensch eine
ganz besondere Beziehung zum Porzellan gehabt haben.
Die Zeit liebte noch das kostbar Verfeinerte und Zarte,
träumte noch über dem Liebreiz blaß gemalter Blumen,
sanft getönter Nacktheiten; sie hatte noch Zeit, unwäg-
baren Empfindungen, die wir heute verächtlich »Gefühlchen«
nennen würden, zu genießen, die erotische Nuance des
Porzellans, gepaart mit dem Bewußtsein der Zerbrech-
lichkeit des Kostbaren, auszukosten. Wer würde heute,
selbst wenn er es wünschte, jenes entzückende nackte
Frauenbeinchen als Riechfläschchen, das die Manufaktur
um 1800 herstellte, erlangen können? Wer hätte heute die
behutsame Sorgfalt, porzellanene Schirmgriffe zu tragen?
Man war gemessener und zärtlicher in den Bewegungen
des Gebrauchs. Man empfand, sogar vielleicht mit Be-
wußtsein, den reizvollen Zwang, vorsichtig und ruhig mit
den Gegenständen hantieren zu müssen. Und es erklärt
sich vielleicht auch daraus die Manie, alles Erdenkliche
aus Porzellan zu bilden, was wir heute als unpraktisch
bestaunen. Die Berliner Porzellan-Manufaktur hat nicht

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