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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Mhe, Herbert: Das moderne Porzellan der Berliner kgl. Manufaktur
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0056

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nur Schirmkrücken und Parfümfläschchen, sie hat Messer-
griffe, Schmuck und selbst das Nähzeug, von der Zwirn-
wickel bis zum Fingerhut, aus weißem Porzellan, mit
kleinen Blümchen bestreut, hergestellt. Fast alles ist dabei
unzerbrochen erhalten! Im Gefühl, nie genug an Porzellan-
besitz zu haben, legten Begüterte umfangreiche Sammlungen
an, indem sie das Neuerscheinende kauften. Heute gibt
es das nicht mehr. Man findet zwar Sammler alter Stücke,
aber sie sind erstens so selten wie Sammler alter Ge-
mälde, und dann entspringt ihr Sammeltrieb aus histo-
rischer Liebhaberei. Neues Porzellan zu sammeln, wie
die Urgroßväter in ihrer Zeit es taten, mit dem Bewußtsein
der Vereinigung des Nützlichen und Schönen, kann man
ja heute nicht! Abgesehen, daß uns die Verfeinerung
dafür abhanden gekommen ist, Zeit und Arbeit uns über-
hastet und das Dauerhafte und Handfeste suchen läßt, —
gibt es ja eigentlich gar kein Porzellan mehr! Das muß
uns zunächst einmal klar sein, wenn wir nach der Be-
trachtung des alten Berliner Porzellans das neue bewerten
wollen! Das Porzellan hat heutzutage eine ganz andere
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Art der Anwendung bekommen. Es hat den Wert an sich
fast verloren, es dient, gilt mehr als feineres und kost-
spieligeres (kaum noch: kostbareres) Material neben anderen
dem Plastiker für seine dekorative Gruppe, als Geschirr
für den Gebrauch! Es ist nicht mehr »königlich«! —
Vor allem ist natürlich die Zeitentwicklung daran
»schuld«. Wir sind nicht mehr Genießer; wir haben nicht
die Zeit, wir genügen der Sehnsucht grob und schnell,
weil wir arbeiten müssen; leider! Dazu kommt dann, daß
die Porzellankunst in den Gründerjahren vollkommen starb.
Blickt man sich einmal die Erzeugnisse der Berliner Por-
zellan-Manufaktur unter der Direktion Süßman-Hellborn
(1882—85) und Alexander Kips (1885—1902) an, so schau-
dert man geradezu! Die Biskuitgruppe der Borussia ist
zum Davonlaufen. Sie wirkt wie eine gipserne Mißgestalt
auf dem Tapezierbord eines Chambre garni im Norden!
Wo ist das Gefühl für die wundervolle Materialwirkung
des Porzellans geblieben? Zwei Statuetten von Kaufmann
und Klinisch haben die zarte erotische Wirkung des Bis-
kuits zu einer das Gemeine streifenden Brutalität vergröbert.
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