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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Hillig, Hugo: Der Betonbau und die Dekorationsmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0075

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□ Vielleicht ist das ein Übergangsstadium und vielleicht
sind wir noch auf dem Wege zu einer charakteristischen
Ausbildung der Betondecke. Dann wird wahrscheinlich
die große Fläche mehr zur Wirkung kommen, die nicht
von Unterzügen oder Traversen getragen zu werden braucht
und in der nur bei großen Räumen die Binder die Fläche
gliedern. Diese Hcrauskehrung der Fläche und zwar der
glatten Fläche ist dem Beton wesenseigentümlich, nicht
aber die Kaschierung mit Stuckgliederung.- Die Betondecke
ist auf eine Leerschalung gestampft, die wieder abge-
nommen wird und deshalb muß der angetragene Stuck
hier fremder wirken als auf der gewöhnlichen Schaldecke,
bei der die auf der Berohrung aufgetragene Putzschicht
selbst schon eine Art Stuck ist, der natürlich eine plastische
Aufhöhung vertragen kann. Bei der gestampften Beton-
decke ist nichts weiter nötig als eine Glättung der Fläche,
solange es nicht gelingt, Betonflächen mit einer ganz
glatten oder doch gleichmäßig ebenen Unterfläche her-
zustellen. □
d Dem Dekorationsmaler verschafft die Betontechnik so-
mit die Fläche wieder. Man braucht sich nur vor Augen
zu halten, welches Schicksal der Beruf des Malers hatte,
als die romanische Bauweise mit ihren großen Gewölbe-
flächen und Wandfeldern der enggegliederten Gotik wich,
um zu erkennen, was das für die Dekorationsmalerei
als Gewerbe und für die dekorative Malerei als Kunst-
form bedeutet. Die angewandte Malerei verlief sich
immer dann im Ornamentein, wenn der Architekt ihr
weiter nichts übrig ließ als kleine Flächen und plastische
Gliederungen. □
□ Bei der Betonbauweise kann der Architekt diese kleinen
Gliederungen nicht geben; er muß sie dem Maler über-
lassen. Vielleicht bescheidet man sich noch mit einfachen
Mitteln des Malers, einer bloßen Betonung der notwendig
gegebenen Gliederung durch die Konstruktion. Daß diese
sich bautechnisch auf das Notwendigste beschränken muß,
weil es heute keinem Bautechniker beim Konstruktions-
entwurf einfällt, etwa einer dekorativen Wirkung zuliebe
statische Notwendigkeiten zu übersehen oder über sie
hinauszugehen, so bleibt dem Maler eine Aufgabe übrig,
die bei vielen Innendekorationen vom Maler vergessen
wird: die Korrektur der Proportionen. Ungünstige Maß-
und Flächenverhältnisse ergeben sich für das Auge auch
bei statisch vollkommenen Konstruktionen. □
o Wahrscheinlich wird der Eisenbeton auch die Eisenbau-
technik ablösen. Denn diese ist ästhetisch an der Grenze
ihrer Entwickelungsfähigkeit angelangt. Der Hamburger
Hauptbahnhof mit seinem wenigstens im Innern wunder-
baren Zusammenklang von Eisenkonstruktion und Stein-
architektur bedeutet nach meiner Ansicht einen Höhepunkt,
der nicht zu überschreiten ist, neben dem es aber gleich
schroff abwärts geht. Mich wenigstens berühren neuere
Eisenkonstruktionen sehr unangenehm, vor allem am neuen
Leipziger Hauptbahnhof. Wenn man da aus dem mit
einer gigantischen Wölbung überdachten Querbahnsteig
hinaussieht in die Einfahrtshallen mit ihrem leichten,
sperrigen Eisenwerk, da wird ein Mißverhältnis fühlbar;
der Zusammenklang, das Ineinandergehen, das gegenseitige
Verhältnis fehlt hier; die Eisenarchitektur sieht wie ein zu-
fälliger, provisorischer, nicht allzu ernst genommener An-
bau aus, nicht aber wie ein wichtiger Teil des Bahnhofes
selbst, — also gerade der Teil ist architektonisch miß-
glückt, der doch ursprünglich der Bahnhof war, während
die früher nebensächlichen Hilfsräume eine so starke archi-
tektonische Betonung erfahren haben. Wären die Einfahrts-
hallen Eisenbeton, so hörte ihre sperrige Durchsichtigkeit,
die doch im Grunde keine ist und auch keinen Zweck
hat, auf und der Bahnhof zerfiele nicht in zwei einander

scheinbar fremde Teile. Daß das geht, hat 1908 die Stutt-
garter Bauausstellung bewiesen; dort war ein Stück einer
solchen Eisenbetonhalle ausgestellt, die sich natürlich auch
in größeren Maßstab hätte umsetzen lassen. Es ist selbst-
verständlich, daß bei solchen Zweckbauten Dekorations-
malerei zunächst nicht in Betracht kommt, weil man einmal
den Materialcharakter des Zements durch eine in statu
nascendi aufgebrachte Schicht von Vorsatzbeton ver-
schönern kann; solcher Vorsatzbeton ist mit farbig charak-
teristischem Sand gefüllt und wirkt dann wie richtiger
Stein. Das ist auch eine natürliche Oberflächenbehand-
lung des Zements, gegen die ein Überzug mit Farben
immer zurückstehen muß. Aber es läßt sich auch denken,
daß einmal, wenn der Lokomotivenbetrieb in Bahnhofs-
hallen vom elektrischen Betrieb abgelöst sein wird, auch
auf solcherart behandeltem Beton Platz für einige Malerei
sein werde. □
□ Aus diesem Grunde ist es auch noch keine Verneinung
der Dekorationsmalerei auf Beton, wenn heute schon viel-
fach auch noch mehr auf die dekorative Wirkung zuge-
schnittene Vorsatzbetone angewendet und gleich, sogar mit
Einlageornamenten, bei der Stampfung des Betons her-
gestellt werden. Es ist vielmehr eine Bestätigung der
Tatsache, daß die Betonbauweise nicht wie edles Stein-
material in ihrem Aussehen sich selbst genügen kann,
sondern einer Zutat bedarf, die das Aussehen des Zements
hebt. Zudem aber ist auch edles Steinmaterial in der
Raumstimmung ein sehr spröder Komponent, und wenn
man es für richtig findet, Marmor farbig zu beizen und
Holz zu färben, so ergibt sich noch viel eher, daß Anstrich
oder Dekorationsmalerei auf Zementbeton eine Oberflächen-
behandlung ist, die sich dem Material natürlich anpaßt,
zumal technische Möglichkeiten bestehen, Mal- oder An-
strichmaterialien zu wählen, die sich mit dem Zement
chemisch zu einem Ganzen verwachsen. Diese Bemerkung
war deshalb notwendig, weil hier und da die Meinung
besteht, die Oberflächenbehandlung eines Materials mit
Farbstoffen sei im Grunde nur eine fremde, entbehrliche
Zutat, die in die Versuchung führe, den Materialcharakter
zu verdecken. Im Gegenteil, der Betonbau reizt den Archi-
tekten wie den Bauherrn und den Maler zunächst nur zu
farbiger Fülle, wenn der Architekt nicht gerade aus Scheu
vor der Farbe die weiße Leere vorzieht und auch seinem
Auftraggeber zu suggerieren versteht. Beispiele für eine
intensiv farbige Behandlung des Betons sind im Vorlesungs-
gebäude in Hamburg zu finden. □
□ Vor etwa zehn Jahren ging von einer dänischen Zeit-
schrift eine Umfrage an bekannte Künstler; sie sollten sich
über die Zukunft der bildenden Kunst äußern. Klinger
wich in seiner Antwort aus und unter anderem führte er
auch als Grund für die Unmöglichkeit, auf die Frage eine
bestimmte Antwort zu geben, den Umstand an, daß die
Architektur mit der Eisenkonstruktion ganz neue Deko-
rationsbedingungen fordere, daß die Erleichterung des Ver-
kehrs neue Materialien an die Hand gebe — und heute
haben wir eine Erfüllung dieser Voraussicht, die weit über
das hinaus geht, was sich vor zehn Jahren annehmen
ließ. Gewiß kann alles auch bei der Betonbautechnik im
alten Geleise weiterfahren, mit Stuck kann der Beton
eklektizistisch »veredelt« werden, die Keramik zeigt auch
eine große Eignung zum Belag auf Stuck und die Cadiner
Geschäftstüchtigkeit hat der Baukeramik eine ziemlich große
Verbreitung geschaffen, Marmor- und Holztäfelung werden
wie Mosaikbeläge auf Zementbeton ebenfalls immer einen
guten Untergrund finden, aber neben allen diesen Be-
kleidungsmaterialien sollte auch der Dekorationsmalerei
ein Recht zu sein, eingeräumt werden.

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