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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Zeitler, Julius: Die Leipziger Akademie für Graphik und Buchgewerbe: zum 150 jährigen Bestehen 1764-1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0123

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pflegte Nebeneinanderführung graphischer und photo-
graphischer Techniken. Die Erzeugung freier graphi-
scher Bildkunst liegt natürlich mit im Plane der
Akademie, doch nicht so vorzugsweise und aus-
schließlich, wie an anderen deutschen Maler- und
Zeichnerakademien. Bis 1901 diente in der Akademie
auch die Graphik der Reproduktion. 1902 erfolgte
zugleich mit der Aufhebung des Kopierens im Zeichen-
unterricht die Ablösung der Graphik von der Re-
produktionsaufgabe, die vervielfältigende Kopierauf-
gabe wurde der Photographie überwiesen. Die
graphischen Künste sind damit von dem Zwecke der
Nachbildung befreit, wieder zu eigenen Leistungen
verselbständigt, und sie erzeugen nunmehr vornehm-
lich Originalkunst. Auch in diesem Punkte also ist
die Akademie fortschrittlich gesinnt; die von dem
Reproduktionszwang erlöste Kunstgraphik betätigt
sich nunmehr in der selbständigen Produktion cha-
raktervoller und schöner Originalwerke. Dieser selbst-
schöpferische Charakter tritt auch in den Fachabtei-
lungen der Graphik zutage. Völlig davon in ihrem
Wirkungskreise und in ihren Aufgaben getrennt sind
die photomechanischen Reproduktionstechniken, die
in diesem Zweige alle wirtschaftliche Zukunft für sich
haben. Die Photographie insbesondere will heute
nicht bloß in ihrer reproduktiven Kraft, sondern
auch als illustrierende und produktive Originale
schaffende Betätigung gewertet sein.
Sehr erwähnenswert ist ferner, daß die Akademie
für Deutschland die Priorität in der Besserung und
Hebung der Schrift- und Schreibkunst besitzt; schon
1902 wandte Direktor Seliger der Kultur der Schrift
seine Aufmerksamkeit zu, was vor allem in der als-
baldigen Einrichtung von Schreibkunstkursen seinen
Ausdruck fand. Von den auf der Akademiepresse
gedruckten zahlreichen Sonderpublikationen müssen
die Winckelmann-Festschrift zur Fünfhundertjahrfeier
der Leipziger Universität und die Bibliophilen-Ausgabe
von Ibsens Kronprätendenten erwähnt werden.
So ist die neue Akademie in praktischen Bedürf-
nissen fest begründet; ein Geschlecht von Buch-
gewerblern zieht sie heran, das sogleich nach Ab-
schluß seiner Lehrzeit imstande ist, einem praktischen
Beruf sich zu widmen. Die Akademie wird jährlich
von nahezu 400 Schülern besucht. Und diese Schüler
rekrutieren sich nicht allein aus Sachsen, sondern sie
kommen aus allen Teilen des Reiches, denn es gibt
in Deutschland nur diese eine, alle buchgewerblichen
und graphischen Zweige umfassende Spezialschule.
Die Organisation der Akademie ist vielfach auch vom
Ausland aus studiert und als vorbildlich anerkannt
worden. Geheimrat Prof. Dr. F. von Thiersch von
der Technischen Hochschule in München sprach sie
mit Recht 1912, gelegentlich der Generalversammlung
der deutschen Kunstgewerbevereine, als Typus einer
Kunstschule der Zukunft an.
Zu solchen Ergebnissen konnte die Akademie ganz
vornehmlich dank dem Walten ihres Direktors Max
Seliger gelangen, der es verstand, auch den Lehr-
körper zeitgemäß zu reformieren und ihn durch die
Berufung jüngerer Kräfte in der trefflichsten Weise zu

verstärken. Heute zählt der Lehrkörper, der in seiner
harmonischen Zusammensetzung sehr hohen künst-
lerischen und technischen Aufgaben gewachsen ist,
40 Personen, davon 20 Künstler und Fachlehrer, dazu
6 Dozenten und ca. 15 technische Beistände und Ge-
hilfen. Von den ca. 1200 Talern der Oeserzeit ist
der Etat auf über 230000 Mark angewachsen.
Dem Lehrkörper und seinem Oberhaupt gelte noch
eine kurze Betrachtung. In seiner Zusammensetzung
ward auf die fortschreitende Spezialisierung stets mit
Bedacht genommen und er stellt einen Organismus
dar, der den feinsten Verästelungen und Verzweigungen
der Lehraufgaben Rechnung trägt. Zu den einge-
sessenen Lehrern, die schon unter Niepers Direktorat
wirkten, traten die Neuen, teils Meister, die sich die
Akademie selbst erzogen, teils Neuberufene, wie über-
haupt die Akademie die besten Könner des jeweiligen
Faches an sich zu fesseln verstand. Dem Lehrkörper
steht seit 1. Oktober 1901 Max Seliger vor, der von
der Berliner Königlichen Kunstgewerbeschule herkam
und als Maler und Innenarchitekt einen bedeutenden
Ruf genoß. Ein tiefes kernhaftes Wissen um das
Zusammenwirken der Künste machte ihn für die
Leitung der Akademie in ihrem Neuaufbau vor allem
befähigt. Seligers künstlerisches Schaffen sowohl in
innendekorativer Hinsicht (Mosaiken, Fresken, Glas-
gemälde) wie auf buchgraphischem Gebiete ist be-
kannt und weitgeschätzt. Vor allem auch steht er
uns als Organisator der Akademie vor Augen, auch
im Erfühlen und Heraufspüren neuer Lehrbedürfnisse
ist er von schöpferischer Kraft, betätigt er sich als
wahrhafter Förderer des neuen Kunstgeistes. Und
wie vor 150 Jahren die Bause, und Geyser, und Dauthe,
und Roßmäßler, so stehen heute um Seliger Lehrer
geschart wie Franz Flein, der gemütstiefe Maler,
Steinkünstler und Zeichner, Paul Horst-Schulze, Fritz
Rentsch, O. R. Bossert, diese vorzüglichen, hochge-
schätzten Kräfte der Malerei und Zeichnung. Als
kenntnisreicher Meister des Holzschnitts wirkt Pro-
fessor Richard Berthold im Dienste einer reichen,
auch der Farbe froh genießenden Technik. Die Radier-
klasse wird geleitet von Professor Aloys Kolb, der,
in monumentalen wie in graziösen Formen Technik
und Kunst in gleicher Weise beherrschend, heute zu
den ersten deutschen Graphikern zählt. Als Exlibris-
künstler und Radierer hat sich Bruno Heroux zu be-
deutenden Graden erhoben. Eine umfassende Wirk-
samkeit entfaltet im Mittelpunkt der Buchausstattung
und der Buchkunst im weitesten Sinne Professor
Georg Belwe, der die Setzerei- und Buchdruckerei-
Abteilung regiert. Ein Künstler, der die typographische
Gestaltung mit einem ausgesprochenen starken illu-
strativen und ornamentalen Können vereinigt, und dem
in dieser Einheit prächtige Werke zu verdanken sind,
ist Professor Hugo Steiner- Prag. Eine universelle
Künstlerpersönlichkeit besitzt die Akademie in Pro-
fessor Walter Tiemann, der in der figuralen Beherr-
schung des menschlichen Körpers und als Maler so
Vorzügliches leistet wie als Buch- und Schriftkünstler
von erlesenstem Geschmack. Auf dem Gebiet des
Stempelschnitts, der Gravierung und des Prägedrucks

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