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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Seliger, Max: Die schulmässige Pflege der Technik zur Förderung unserer Gewerbe- und Industriekunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0125

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Ich gebe zu unserer Verständigung kurze Erklä-
rungen einiger Begriffe.
Unter Ästhetik verstand man etwa die gedankliche
Gestaltung, die Erfindung. Unter Technik die Aus-
führung im Material, die konkrete Gestaltung.
Da beide verwachsen miteinander in die Erscheinung
treten, so folgt, daß auch die Technik ästhetische
Eigenschaften zeigt, die bisweilen sogar der Hauptteil
am Werke werden.
Ich erinnere an die gegossenen und rissigen Gla-
suren ostasiatischer Keramik.
Und an Laliques Werke, die in Paris 1900 der
Clou waren. Sie waren nie lediglich gezeichnet oder
modelliert, sie sind in der Werkstatt geboren.
Manchen Künstlern kommen erst in der Werkstatt,
bei der Beobachtung des Werdeprozesses, gute Ge-
danken für die Gestaltung.
Weil die Technik auch erheblich ästhetische Züge
aufweist — persönliche, und in den Spezialberufen
gemeinsame, spezialfachliche Züge —, so kann sie ein
Miturheberrecht in Anspruch nehmen.
Kann von diesem aus Imitationsgelüste anderer
Techniken abwehren.
Die Imitation ist immer noch in der Welt, auch
in dem für den neuen Zeitgeist passenderen Stil der
Sachlichkeit und des Bezahlbaren.
Der Imitationsgeist hat eine ethische Bedeutung,
er zerstört nach drei Seiten.
Die eigene Technik entcharaktert er, die nachbar-
liche bestiehlt er und den Laien täuscht er über den
Wert seines Besitzes und seiner Kultur.
Wir brauchen Konkretschaffende in moralischem
und lauterem Geiste, die nachbarlichen Sinnes, aber
selbstbewußt streben. Wir brauchen eine Ästhetik der
Technik und einen technischen Stolz.
Wir haben einen Sittenkodex im konkreten, ästhe-
tischen Schaffen auszubilden, der in Harmonie mit
der Ethik steht. Beide widersprechen sich nicht.
Die guten, rein geistigen Taten und die konkreten
guten Taten fließen aus derselben Quelle.
Aus der Reinheit und Größe der Gesinnung.
Darin liegt die Bedeutung des Wortes von der
Durchgeistigung der Arbeit. Auch in der Technik
sind helle Begriffe über guten und üblen Geist zu
setzen.
Und in erster Linie auf- und fortzupflanzen sind
sie, wo hohe Schaffenssitten Pflicht sind — in der
Schule.
Das Handwerk jeder Kunst, richtiger der Technik,
hat die Schule zuerst und zwar gesund zu vererben,
weil sie das Ursprünglichere und Langlebigere ist.
Dem Treiben in der Fachschule ist die größte
Aufmerksamkeit zu widmen, weil hier die künftigen
Schaffenden erzogen werden. Die Präger unserer
kommenden ästhetischen Kultur und Handelswerte.
Wir haben erkannt, daß die Lehre nicht unge-
straft zerrissen werden darf, in ästhetisch strebende
Erfindung und nicht ästhetisch strebende Ausführungs-
technik. In Zweikulturen von verschiedenem Geist.
Wir haben gesehen, daß darum die Schule sich
auch der Kultur der Technik annehmen muß.

Die Nötigkeit der Lehre der Technik und damit
der Einführung der Fachschulwerkstatt habe ich 1904
in Braunschweig ausführlich auf dem Delegierten tage
der Kunstgewerbevereine begründet.
Habe die Schul Werkstatt als Ziel zwanzig Jahre neben
anderen Zielen aus pädagogischen Gründen begehrt.
Heute ist sie wohl durchgesetzt.
Die Vorteile für die Erziehung sind vor allem die
Lehre an einer Stelle, in einem Geiste.
Indirekt auch vermag die Schule zu helfen, die
Geringschätzung der Technik, die noch als niedere,
rühmlose, geistlose Arbeit gilt, zu hindern.
Der erfindende Schüler hat Gelegenheit, die Probe
auf das Exempel des Entwurfes zu machen, die Aus-
führung des Werkes in allen Werdezuständen zu
sehen oder selber zu besorgen.
In jedem Stadium günstige Einflüsse einzuschalten,
derart, daß die Ausführung eine Verschönerung und
Mehrung der ästhetischen und technischen Werte des
Werkes bedeutet. —
Dieses Zusammenarbeiten und diese Führung durch
den erfindenden Künstler sind nötig zur Erzeugung
deutscher Wertarbeit.
Oft wird dabei Personalunion von Erfinder und
Ausführer erreicht.
Möglichst viel sollte sie erstrebt werden.
Wir leben auch im Zeitalter der Arbeiterheere
und der Arbeitsteilung. Darin liegt die Gefahr, daß
ein verständnisloses, liebloses, gegenseitig unförder-
liches Zusammenarbeiten bei der Erzeugung unserer
Gewerbe- und Industriekunst sich mehrt. Weil die
Verantwortung zerstört und die Urheberrechte ver-
wirrt und verwischt werden.
Der Erfinder muß rücksichtnehmend, die tech-
nischen Schönheiten erschöpfend, Schwierigkeiten der
Technik meidend, konzipieren.
Das kann nur der technikkennende und technik-
vertraute Erfinder.
Diese fachliche Grundbildung vermittelt die Praxis.
Und den künstlerisch veranlagten Schülern, die
gleich ohne technisches Können in die Schule treten,
nur die Schulwerkstatt.
Der ausführende kunsttechnische Arbeiter muß aber
liebenswürdig folgen und die Absichten des Erfinders
verstehend mithelfen.
Wir leben in der Zeit der Mechanisierung der
Arbeit und des Kampfes der Technik. —
Am meisten gefährdet ist die reizvollste Technik,
die des Hand- und Handkunstwerkes.
Ihr hat die Schule die liebevollste Pflege zu wid-
men. Die Erhaltung der Handarbeit ist eine Pflicht
der Schule.
Die Handtechnik ist der Damm gegen die Flut-
welle, die alle Produkte zu vermassen droht.
Das Wehr gegen die Verödung der technischen
Reize durch die maschinentechnische Präzision. —
Unsere Zeit, die das Persönliche fast zu hoch
schätzt, begehrt auch die Differenzierung der Reize.

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