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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

DOI Artikel:
Schmidt, Paul F.: Die Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie 1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0203

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Entwurf Felix Alschner, Dresden. Ausführung in Peddigrohr
von Peter & Stegemann, Radebeul

von neun Wohnungen, die Müller, Körner und Margold
schufen, in prächtigen Repräsentationsräumen, im Restau-
rant Margolds mit seinem Cafe und dem artverwandten
Sektraum und Modepavillon von Körner; schließlich hat
Albin Müller noch eine Reihe verstreuter kleinerer Gebäude
errichtet, außer dem gewaltigen (nicht ganz geglückten)
Säulenportal mit Hoetgerschen Skulpturen: das zerlegbare
und transportable Sommerhaus für 10 000 M. aus Holz und
Asbest, in fünf Tagen aufzuschlagen, das keramische Rund-
tempelchen, die jonische Pergela und das Bad für den
Großherzog, mit einem pompejanisch roten Sonnenbad.
So kommt die Kleinkunst und die freie Kunst beinahe zu
kurz. Wenigstens gibt es keine Gemäldeschau, und da
die Mitglieder der Kolonie die einzigen Aussteller sind, so
ist alles übrige in Atelierausstellungen verwiesen oder gar,
wie Fritz Oßwalds farbig glänzende und bedeutend mo-
derner gewordene neueren Gemälde, zu Gaste in den
Wohnungseinrichtungen der Architekten. Hans Pellars
Bildnisse und Heinrich Jobsts bewegte Skulpturen teilen
sich in einen Saal, Hoetger, die Architekten, Margolds
Kunstgewerbe (ausgezeichnete und geschmackvolle Lei-
stungen) und Kleukens Buchkunst nebst den Werken der
von ihm geleiteten Ernst-Ludwig-Presse sind in dem
Atelierhause schön untergebracht, das zu dem Hause des
Großherzogs gehört, und endlich finden die trefflichen
Silberarbeiten des nicht mehr in Darmstadt weilenden
Ernst Riegel und seines Nachfolgers Th. Wende in Vitrinen
eines Raumes im Hochzeitsturme ihren Platz.
Im Gesamteindruck überwiegt das kunstgewerblich
Reiche, ja Prächtige, der heutigen Strömung entsprechend,
die mit Eleganz und Überschwang den früheren Puritanis-
mus der Form ablösen und dem Ausland beweisen will,
daß wir auch luxuriös arbeiten können. Manches scheint
dabei nicht so gelungen zu sein, wie man es im Herzen
wohl wünschen möchte. Aber dann sind wieder so reiz-
volle Lösungen gefunden, daß man versöhnt ist und sich

sagt: alles kann nicht vollkommen sein; genug, wenn nur
überhaupt Gutes geschieht, das sich von selber behaupten
wird. So möchte man dem Ehrensaal und dem anmutigen
Modepavillon von Körner längere Dauer wünschen und
sich heimlich das eine und andere Stück von Margolds
Kleinarbeiten oder Wetides und Riegels Geräten, von den
Büchern der Großherzoglichen Privatpresse zu eigen wün-
schen; und mit wie freundlichen Gefühlen speist man in
Margolds hellem, farbenbetupftem Restaurant oder lauscht
der Musik in seinem luftigen Cafe!
Albin Müllers acht Miethäuser (beabsichtigt sind sech-
zehn) schließen als zusammenhängende Masse die Mathilden-
höhe gegen häßliche Brauereien im Nordosten ab und
stellen eine Lösung des wichtigsten stadtbaulichen Problems
der Gegenwart dar: wie man die Mietskaserne baukünst-
lerisch veredelt. Die Situation war hier am Olbrichweg
allerdings sehr glücklich, und Müller hat sie geschickt und
nicht ohne Großzügigkeit ausgenutzt; die mehrfach ge-
brochene Straße mit Rücksprüngen und Brechungen be-
gleitet, Massen zusammengefaßt und den Terrainhöhen
angepaßt, durchlaufende Dächer gezogen und mit einheit-
licher Behandlung des Kubischen und der Materialien den
Eindruck erzeugt, als handle es sich hier um eine einzige
riesige Baumasse. Die Brandmauern sind unter den Dächern
versteckt, und selbst die Vorgärten einheitlich belassen.
Das ist eine würdige Art, der Buntscheckigkeit der »Fassa-
den« Herr zu werden, wenn auch bisweilen Unruhe in
der kubischen Belebung durchbricht.
Zwecklose Schönheit ist der Sinn der höchsten Kunst-
betätigung, welche »ungemein ist und unnützlich und leuch-
tend und mild im Glanze«. Dies ist der innere Sinn und
bedeutet die unbegrenzte Überlegenheit einer Schöpfung
wie Bernhard Hoetgers Platanenhain über alle andern,
irgend einer Nützlichkeit dienenden Werke auf der Ma-
thildenhöhe. Wir sind heute wohl noch nicht imstande,
den endgültigen Wert dieser Schöpfung abzuschätzen;
vielleicht betört uns die süße Anmut der Gestalten und
die Schauer der mystischen Symbole, welche in ihnen
niedergelegt sind, so sehr, daß wir gar nicht objektiv sein
wollen, sondern nur ihre Schönheit lieben. Aber ist dieses
nicht schon etwas Großes, daß ein Künstlerwerk uns zwingt,
es liebend in uns aufzunehmen? Es ist eigentümlich und
nötigt zum Nachdenken, daß heute als solche suggestiven
Dinge in der bildenden Kunst fast nur Skulpturen entstehen.
Die Deutung liegt nahe, daß wir einer ausgesprochen
plastischen Blüte der Kunst entgegengehen. Nur so ist
auch die tiefe Harmonie erklärlich, die hier zwischen Auf-
trag und Künstler entstand und das beglückende Gefühl,
das uns sagt: die Hoetgerschen Skulpturen erfüllen eine
Sehnsucht unserer Zeit, und sie erfüllen sie restlos, weil
bei ihnen sich alles deckt, was uns Ziel neuer Kräfte heißt:
das Idealistische einer streng tektonischen Raumauffassung,
die Mystik eines poetischen Gehaltes in der Unterordnung
unter ein allgemeines Symbol und die Strenge gebundener
skulpturaler Form. Die tektonische Gesinnung ist das Neue
gegenüber dem Naturalismus des 19. Jahrhunderts; die
willige Rückkehr zu den unerschütterlichen Gesetzen, welche
die Beziehung zwischen Plastik und Raum seit fünftausend
Jahren geregelt haben: ausgedrückt in der rhythmischen
Verteilung der Statuen und Gruppen in ein System von
Efeunischen, das raumsymbolisch sich auf einen unsicht-
baren Mittelpunkt bezieht. Diese freiwillige Bindung wirkt
wie eine erlösende Tat gegenüber der unkünstlerischen
Anarchie etwa inBartholomes Totenmonument oder Klingers
Beethoven; wir spüren den Atem einer neuen Zeit, eine
Morgenröte der Künste, und das ist das Unvergängliche
und das unsterbliche Verdienst, das keine Zeit mehr diesem
Werke Hoetgers nehmen kann. Indem es einen histo-

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