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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.3870#0247

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LITERATUR

Die Plastik der Ägypter von Hedwig Fechheimer
(Verlag Bruno Cassirer, Berlin 1914, Preis 12 Mk.) kommt
in der Tat, wie die Verfasserin im Vorwort meint, einem
Bedürfnis entgegen. Es ist seltsam; vor noch nicht
zwanzig Jahren war uns eine Kunst wie die ägyptische allen-
falls interessant; wir bestaunten sie kopfschüttelnd. Heute
ist sie mit der Gotik, mit dem echten, innerlichen Barock
denen, die der Kunst mit heißer und aufrichtiger Inbrunst
hingegeben sind, auf einmal das Nächste; wie vor
zwanzig Jahren der Impressionismus und seine historisch
verlaufenden Erscheinungen innerstes Erlebnis wurde und
werden mußte. Es ist die Sehnsucht nach einer Einheit,
nach vertiefter Klarheit und Ruhe aus allen den Zerrissen-
heiten der Kunst, dem Mechanischen unseres Lebens; es
ist die tiefe Hoffnung auf Stil, die uns im Blute liegt. Mit
einer fast schmerzlichen Bewunderung, — peinvoll durch
das Bewußtsein unserer Schwäche, stehen wir vor den
Träumen gotischer Künstler, vor der Gelassenheit ägyp-
tischer Kolosse. Die Gotik mit ihrer leisen und natürlichen
Problematik ist uns verwandter und vor allem unserem
Zustand doch räumlich und zeitlich wenigstens etwas näher,
als der ägyptische Stil. Deshalb sind wir vielleicht zuver-
sichtlicher geneigt zu glauben, daß wir eher von ihr
lernen, etwas — nicht in der Gebärde, sondern im Geiste
— ihr Ähnlicheres erreichen können. Sie ist mit uns ver-
traulicher; sie wirft uns nicht wie Ägypten mit seiner
lächelnden Ruhe in die Verzweiflung völliger Ohnmacht.
Und dennoch — vielleicht gerade im Gefühle, stets mit
unseren nervösen, zerrissenen Sinnen an dieser Glätte herab-
stürzen zu müssen, zieht uns die ägyptische Kunst so un-
erhört an. Gerade die Aussichtslosigkeit eines persön-
lichen Kontaktes, das Gefühl der Ausgeschlossenheit steigert
unsere Sehnsucht und unsere Liebe.
So ist das Werk, das Bruno Cassirer jüngst heraus-
gab, im richtigen Augenblick erschienen. Wie groß das
leidenschaftliche Interesse an der ägyptischen Kunst, nicht
allein in den künstlerischen Kreisen, sondern bedeutungs-
voll gerade auch im »Publikum« heute ist, konnte man
jüngst in dem Besuch der Ausstellung der letzten Aus-
grabungen im ägyptischen Museum sehen. Die Reproduk-

tion des wundervollen Amenophiskopfes wurde so enthu-
siastisch verlangt, daß das Museum kaum mit der Herstellung
Schritt halten konnte. Diese Leidenschaft, die ägyptische
Kunst, wenn auch nur in einem kleinen Werke so nahe
wie möglich: in der häuslichen Wohnung vor sich zu haben,
war sehr merkwürdig. Gerade diesem Wunsch kommt das
Buch Cassirers sehr glücklich entgegen. Wer es einmal in
die Hand nimmt, blättert es stundenlang durch. Es stellt
sich so eine Art phantastischer kindlicher Vorstellung ein,
als sei hier, wo man Ägypten in den ausgezeichneten Re-
produktionen in den Händen hält, die Schranke ein wenig
gemildert, die Aussichtslosigkeit einer persönlichen Berüh-
rung mit dem künstlerischen Geist der Werke geringer.
Dies ist paradox; dennoch ist es der Eindruck.
Iiundertsechsundfünzig Reproduktionen, fast alle ganz-
seitig, sind dem Werke beigegeben; (— beigegeben —, es
ist eigentlich richtiger, das vom Text zu sagen) und von
dieser Fülle wird man nicht satt —, man ist undankbar,
begierig nach mehr! —
Zwei Reproduktionen wurden hier gebracht, um das,
was in einer kurzen Besprechung unmöglich ist, mit Worten
zu beschreiben, zu veranschaulichen; um das, worauf der
Akzent des Buches liegt: das Bild, so eindringlich, wie
möglich zu machen.
Es war vielleicht unausführbar, im Text des Buches
über das rein Historische und Kunstwissenschaftliche in
Richtung auf den inneren Geist mehr herauszugehen, als
es geschah. Die Reproduktionsfülle lastet mit ihrer eigenen
Sprache zu schwer auf jedem Versuch. Auch mag Hedwig
Fechheimer sich nicht stark genug gefühlt haben, ihn trotz-
dem zu unternehmen. Sie beschränkte sich auf Daten
und Detaillierung der äußeren Form und Statik; gab
aber wenigstens die dichterischen Inschriften reichlich
und hat sich darin ein sehr großes Verdienst erworben,
daß sie dem Kunstwissenschaftler, der, es ist nicht
zu glauben, bisher auf die ägyptische Kunst immer ein
wenig herabsah und seine Tätigkeit auf diesem Gebiet
entschuldigen zu müssen glaubte, ein wenig die Augen
öffnete ! Im übrigen ist ihr Text Beigabe des Wissens-
werten, klug und ernsthaft! — Herbert Mhe.

Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwao, Berlin-Zehlendorf-Mitte
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf., g. m. b. h., in Leipzig
 
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