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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
DOI Artikel:
Popp, Joseph: Von der Macht der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0021

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selbst verstanden werden kann, ganz von sich aus gewertet sein will. Sie ist
eine Machk, die ihre besondere Sprache spricht, die verstanden und gelernt
sein will. Die Schwierigkeiten, die solchem Verständnis und solcher Lehre
entgegenstehen, sind nicht gering. „Den Stosf sieht jedermann vor sich, den
Gehalt sindek nur der, der etwas dazuzutun hak, und die Form ist ein Geheim-
nis den meisten" (Goethe).

Selbsi vom Stoss her erstehen dem Verständnis des Kunstwerkes Schwicrig-
keiten und Verwirrung: man beurteilt alles zu wirklich und nimmt an dem
derart Fehlenden oder Andersartigen Ansioß. Wicviele Natnrwissenschastler
beziehen in ihr Kunsturtcil unwillkürlich ihr fachmännisches Wissen um die
Erscheinungen ein; das groteskesie Beispiel lieserte der berühmte Physiologe
Du Bois-Reymond, der Böcklins Fabelwesen ablehnte, weil sie den natur-
wissenschaftlichen VorausseHungen nichk enksprechen. Das ist nicht allznweik
von der Kritik meines kunstsinnigen Schusters, der alle Statuen zunächst aus
die Fußbeklcidung hin anschaut und von hier aus die Gesamkleistung mit zen-
suriert. Vom Gehalt her verschließt sich das Kunstwerk nichk selten auch dem
Gebildeten, erschließk es sich gar manchmal eher dem Ilnverbildeten, dem aus
eigenen Ersahrungen und Erlebnissen ein Verwandtes anklingt, als dem
Asthetiker und Kunstgeschichtler. „Die Form ist ein Geheimnis den meisten."
Wie lange hak die kunstgeschichtliche Forschung gebrauchk, bis sie sich der
primiLiven, archaischen, barocken Kunstsorm gegenüber richkig einzustellen ver-
mochte, welche Schwierigkeiten bereiken ihr einzelne Künstler, wie äußerlich
wird die künstlerische Form aus Merkmale hin etikcttiert und katalogisiert, in
„spanische Skiefel eingeschnürt", bis ihr der Geist ganz ausgetrieben ist! Es
bedars vieler Schulung und eines starken Formensinnes, um die so sehr ver-
schiedenen Grundsormen auch nur der Hauptstile in ihrer Eigenart und Wir-
kung zu erfassen. Dazu kommt die Einschränkung durch die nationale 2ln-
schauungsweise; wie verschieden gibt sich italienisches nnd deutsches, bezw. nor-
disches Gestalten! llnd nicht das geringste Hemmnis bereitek die persönliche
2lusnahmefähigkeit, dic durch innere Veranlagung und Erziehung bestimmk wird.
So konnte es geschehen, daß Jakob 2Zurckhardts Genie Rembrandk gegenüber
völlig versagte, wie selbst sührende Forscher aus dem Gebiet der Renaissance
lehken Endes die Gotik nicht verstehen und umgekehrt. Braucht so dic Kunst ein
ganz besonderes vielseitiges Verständnis sür die Form als Vermittler eines
Jnhaltes und Gehaltes, so auch noch sür diese selbst. 2lber es gibt innerhalb
ihrer Bildungen zahlreiche 2lbstusungen. Diese Taksache bedenken die Kunst-
erzieher, zumal die kunstgcschichklich eingestellken,viel zu wenig und bringen des-
halb auch an den Erwachsenen viel zu Fernliegendes und Hohes heran, was
ihm erst nach gewissen Vorstufen oder überhaupt im leHten nicht zugänglich
ist — dazu gehört die Kunst Dürers. Melsach liegt noch alle Kunsterziehung,
wenigstens sür die bildende Kunst, im argen. Es versagen die Galerie- und
Museumsleiter, zum größteu Teil in jeder Weise, auch viele Kunstlehrer der
Volks-, Mittel- und Hochschulen wie Volkshochschulen: es sehlt ihnen und
es fehlt überhaupt an einer irgendwie brauchbaren Kunstsystematik oder wie
man eine solche Einsührung in das Wesen der Künste und Kunst nennen soll.
Deshalb sind auch die 2luswirkungen der Kunst im erziehlichen Sinn beschei-
dener 2lrt. Wie weit die Verwirrung selbst gegenüber dem Wesentlichen schon

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