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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
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Alverdes, Paul: Rainer Maria Rilke
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0023

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kadenz und des 6n siecle, den Zwitter aus echter Poesie und echter Artisiik,
sie hätten am Ende etwas wie einen Schein von R-echt für sich anmelden können.
Nnn aber hat er sich selbst mit diesen lehten Elegien die Krone aus schwerem
Golde dieser Erde aus das zarte Haupt geseht. Sie beugt es erdwärts nieder,
njcht anders wie die volle Frucht die Ähre niederbeugt, dorthin, von wo sie
ihren Ilrsprung nahm und wiederum nehmen wird. llnd so lebt er sortan in
unserem Gedächtnis.

Denn erhebt sich am Ende eines Lebens noch einmal ein mächtiges und klares
Werk, so deuten wir es gerne als den großen Schluß aller Bemühung nnd
Weisheit dieses Lebens überhaupt. Von ihm aus gesehen erscheinen alle seine
Stationen bedeutender; das Launische nnd Verschelte launischer und verspielter,
aber freilich aller Ernst und alle Tiese auch als ein wahrerer Ernst und eine
tiefere Tiefe.

Suchk man aber nach einem Grundelement, welches allen Dichtungen Rilkes
gemeinsam gewesen sein müsse, so ist das vielleicht sein Glaube an die Unend-
ljchkeit und Unbegrenztheit aller Dinge und Erscheinungen. Unendlich und un-
begrenzt in dem Sinne, daß es sür ihn nichts eigentlich Endgültiges und Ein-
zelnes in der Welt gibt. Daß vielmehr alles, das Große und das Kleine, das
Ganze und das Einzelne, der Tod und das Leben, die Menschen, Tiere, Pflan-
zen, die Seelen und die Kreaturen lebendiger und scheinbar unlebendiger 2lrt
tief miteinander zusammenhängen und daß gewissermaßen alles aus alles wirkt
in der Welt, ein Stein auf ein Herz tmd ein Toter auf eine Frucht, und daß
alles allem wunderbar und geheimnisvoll antwortet: das Abgeschiedene dem
Lebcndigen und diesem die Zukunft, und umgekehrt.

2lber Lebendige machen

alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.

Engel (sagt man) wüßten ost nicht, ob sie unter

Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung

reißt durch bcide Bereiche alle 2llter

immer mit sich und übertönt sic in beidcn ...
heißt es in der ersten Duineser Elegie*). Und so ist es von einer ganz bestimmtcn
Bedeutung, wenn wir ciuem besonderen Work, obgleich es als eine 2lbstraktion
sür den poetischen Gebrcmch ganz und gar nicht geeignek erscheink, immer wieder
in den Gedichten Rilkes begegnen. Es ist das Wort „Bezug". Da steht es
mitken zwischen wahrhaft „verdichteten" Gedanken, dürr nnd nackt, nichts als
cin Gedankenbehels, und entstellt sür unsern Geschmack die erlesensten Gebilde.
Wir vermögen uns diese merkwürdige Tatsache nicht anders zn deuten, als daß
der wahrhast großartige Gedanke eben des „Bezuges" aller Dinge und Er-
scheinungen auseinander sür Rilke das dichterische Bewußtsein selbst war.
So mag sür ihn dieses bloße Work sogleich alle Erscheinung aufgeregt haben,
einander sichtbarlich zu bewegen und zu enksprechen, sür ihn zu einem dichte-
rischen, zu eincm Zauberwort, einem verwandelnden Jnbegriff von den Kräften
dieser Welt geworden sein. Für uns mußke es ein Nvtbehelf bleiben.
Niemand hätte sreilich solcher Behelse — und er hat sich übrigens einiger
ähnlicher zuweilen nicht ungern bedienk — weniger bedurst als er. Er wußte
früh, daß er mik den Werkzeugen der Sprache, die auf ihn gekommen war,

' Wic sämkliche Werke RilkeS im Inseloerlag.

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