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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
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Alverdes, Paul: Rainer Maria Rilke
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0024

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niemals auszndrücken vermochte, was ihn eigenklich bewegte. Wenn er zeigen
wollke, wie die nnsichtbare nnd die sichtbare Welt einander an Händen sührten
und einander durchdrangen; wie die Erben mik den Abgeschiedenen und den
Ungeborenen gleiche LufL atmeten und wie die Reiche der Menschen, Tiere,
Pslanzen und der ElemenLe recht eigentlich ein einiges Reich bildeteu, wo die
Geister nichL ohne die Leiber, und umgekehrt, das Leben hatten; wenn er seinen
Tod und seine Toten, seine Engel und seinen Gott beschwören wollte: so
mußke er das alte Wort von Grund aus erneuen, Neues erschassen. Sehr
zeitig hat er das in den „Frühen Gedichten" einmal aus eine noch schüchterne
und knabenhaste Weise so ausgedrückt:

Die armen Worte, die im Alltag darben,
die unscheinbaren Worte lieb ich so,
aus meinen Festen schenk ich ihnen Farben,
da lächeln sie und werden sroh.

Jhr Wesen, das sie bang in sich bezwangen,
erneut sich deutlich, daß es jeder sieht;
sie sind noch niemals im Gesang gegangen
und schaudernd schreiten sie in meinem Lied.

Mit nnendlichem Bemühen und mit außerordentlichem Gelingen ist er dantt
daran gegangen, sich das JnstrumenL zu schassen, dessen er bedurste. Und
hier kam ihm dic glücklichste Natur zu Hilfe. Er nmß ein Auge und Augen-
Gedächtnis von einer fast grausamcn Schärse besessen haben: nicht Jäger-
Auge, sondern allerdings Auge dessen, der aus dem, was er sieht, etwas zu
machen gedenkt; der blitzschnel! das Ganze einer Erscheinung zu sassen weiß, der
die Summe ihrer Einzelheiten als seine Beute nach Hause trägt, und doch die
geringste jederzeit zu seiuen Zwecken wieder aus dem Ganzen zu sondern weiß.
So sah er sreilich, was andere ihr ganzes Leben lang nicht sahen und leicht
leugnen hatten, so hörte er mit den hcimlichsten Ohren das Heimlichstc, wo
andern die Welt stumm und sprachlos erscheinen mochte. Ilnd endlich: mit den
reizbarsten und zarLesten Nerven, ja vielleicht mit einem sonst längst ausge-
storbenen Ahnungs- und Fühlungsvermögen seiner ganzen körperlichen Existenz
vermochte er den verborgensten Regungen sremder Wesen und Dinge nachzu-
spüren, ahnte er und erkanntc er Empsindung, Schlag und Atem von Seelen
und Geistern weit außerhalb seiner selbst, wußte er um „Bezüge" uud Zu-
sammenhänge, die keiner vor ihm auszudrücken vermocht oder gewagt hätte.
So sind ihm goetische Gebilde gelungen, deren Kühnheit und Sicherheit in der
Vermischung und Vereinigung der scheinbar unvereinlichsten Elemente dieser
Welt zu ganz neuen und glücklichen Berbindungen an Shakespeare selbst und
unter den Deutschen an Zean Paul erinnern mag.

MiL meinen Sinnen wie mit Vögeln reiche
ich in die windigen Hinuirel aus der Eiche,
und r'n den abgebrochnen Tag der Teiche
sinkt wie ans Fischen stehend mein Gesühl...
heißt es iu „Fortschritt" im Buch der Bilder. Und er sollke allerdings sort-
schreiten zu einer Leichtigkeit der beschreibenden Hand, ja zu einer virtuosen
Fertigkeit des Ausdrückens nnd Ausbildens, die am Ende den Drchter selbst
in ihm zu gesährden schien. Denn es gab schon nichts, kein Thema und keine

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