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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
DOI Artikel:
Rinn, Hermann: Über die kulturelle Bedeutung der Zeitung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0033

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cmes Warenhauses, als die auf einem Glauben beruhende hierarchische eiuer
Kirche. Sie hat viel eher als ein mn einige Grade gesunkener, geistiger 2lb-
kömmling jener stosshäusenden Viel- und Alleswisserei, der ausklärerischen
Wörterbuchgelehrsamkeit des 18. Jahrhunderts zu gelten, mehr oder minder
verquickt mik dem ökonomischen Materialismus. Ehrsurchtslos münzt sie alles
ein und schlägt es in gangbare Ware aus, registrierk alles, wie wenn alles
gleich wichtig und ausbewahrenswert wäre, kennt keine Auslese nach Werten,
breitet alles einschichtig aus und täuscht durch eine mechanische Überwindung von
Raum und Zeit einc Universalität vor, die doch nur überall das Unwesenkliche,
Äußerliche und eigenklich Zusällige, Tote, eben das, was nur einen Tag zu
leben hat, einsängt. Jhre Geistigkeit ist ein plattcr zivilisatorischer Rationalismus,
ihre Ethik: Relativismus oder Geschästsmoral. Der gläubige Zeitungsleser
allerdings erträgt ihre Unsehlbarkeit, ihre Autorität, jhre Allwissenheit und All-
gegenwart um so lieber, als er sich aus seine Freiheit von klerikaler Bevormun-
dung viel zuguke tut und selbst im Banne eines groben pragmakischen Rationalis-
mus liegt. Das 'sanatische Zeitungsverschlingen muß zu einer granenhasten
Entschleierung, Enträtselung, Veräußerlichung und Berflachung sühren, je
mehr die Presse das Geistige sür sich monopolisiert; und zn einer geistigen Ver-
nichtung, wenn diese Monopolisierung die Abhängigkeit von parteilichen und
kapitalistischen Znkeressen mit sich bringk.

Die Übermacht der Zeitung wäre nichk möglich, wenn nicht die Wissenschafk
sich immer mehr aus der Berbundenheit mit dem Wirklichen gelöst, sich gegen
jede Lebensnähe durch eine völlige Selbstgehörigkeit und -genügsamkeit verrie-
gelt und eine Selbstherrlichkeit angemaßt hätte, die sie selbst einem schranken-
losen Relativismus auslieserke. Wäre nicht möglich, wenn das Kirchenkum,
in eine BerLeidigungsstellung abgedrängk, nicht mehr als zeitverflochten und
zeitgesorderk empfunden würde, wenn nicht der geistige Primat an eine dies-
jeitige, glaubenslose Wissenschask übergegangen wäre. Wäre nichk möglich,
wenn nichk die Kunst seit der Renaissance einem cigenmächtigen, jeder lebendi-
gen Gemeinschast sernen Zndividualismus versallen wäre. Kunst, Wissen-
schaft, Kirche vcrlieren in dem Ncaße an Ansehen und Bedeutnng als Kultur-
Faktoren, als sie in ihrem Eigenbereich verharren und erstarren, und verlernt
haben, ordnend, helsend, tröstend nnd verklärend aus die realen Rköte des All-
tags, der nächsten und härtesten Wirklichkeit zu antworten.

Der geistige Despotismns der Presse ist nicht anders zu brechen als durch eine
Resormation an Haupk und Gliedern unserer Geistigkeit, deren, berechtigter,
Haß und Ekel vor der Zeitung eine schwcre Verkennung der eigenen Verant-
wortung verdeckk, ein Ausweichen vor der Pslicht: srnchtbar zu werden und
bie wahrhast besreienden und gestaltenden Kräste in die Wirklichkeit zu er-
ichließen. Von einer Sozialisierung der Presse, einem neuen Zensur- oder
SchundkampfgeseH wäre bestensalls nur eine vorläusige 2lbhilse gegen die
Ichlimmsten Übel zu erhossen. Es ist nur der minimale Weg zu beschreiten: die
Bedürsnisse, auf denen die Zeikung ihre Ncachtstellung ausrichken konnte,
zn verwandeln und zuveredeln und der irregeleiteten, verratenen und geschändeten
Menschheit ihre Anrechke zurückzugeben. Sei es, daß es den in die Presse ein-
Itrömenden gesinnungsmäßigen, verankwortlichen Kräften gelingt, den Einfluß
^cr Gelegenheiks- und Geschästsmacherci zurückzudämmen und nnschädlich zu
 
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