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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1927)
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Wittig, Joseph: Die Kunst in Neusorge
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0087

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die in dem Arbeitszimmer sind, die Skimme gehörk hakte: „Wir branchken nur
noch ein wenig Krisiallschimmer und ein wenig RoLvioletk und ein wenig
Spargelgrün unker uns, und es müßLe genau an der richLigen SLelle sein,
vielleichL aus dem grünen Tuch des SchreibLisches, dorL neben dem feinen
Elfenbeinmadönnchen, dann würde eine Verwandlung über uns kommen, wir
würden uns wie die Farben einer PaleLLe zum Gemälde ordnen und wie die
SLeine eines Berges zum Fefisaal, und es würde ein GeisL um uns wehcn und
weben, und es würde... und es würde...!"

Der Maler nimmL weiße Leinwand und Farben und wirkL miL ihnen KunsL.
Der Bildhaner holL einen SLein aus dem Gebirg und seinen Meißel aus dem
Werkschrank und wirkL miL ihnen KunsL. Wie heißL doch der Künsiler, der
nichk Farbe hak noch Skein, noch den schwingenden Ton in der Lufk, noch den
Rhythmus und den Klang des WorLes, sondern nur ein nüchkernes ArbeiLs-
zimmer und ein paar Basen auf dem BreLt und ein paar Blumen und ein wenig
Spargelgrün? Dazu eine Seele, die doch Schönes bilden will und aus der
alten WelL eine neue schaffen muß? Eine Hand, die noch den ursprünglichen
Beruf aller Menfchenhände in sich spürt, nämlich zu verwandeln, was sie
berührt, noch mehr, noch mehr: zu fchaffen nach dem Borbild der GoLLeshand,
der sie verwandL ift wie eine TochLer der MukLer? Und einen Nuf, das wun-
dersame Etwas zu rufen, das sich in dem Werk der KünsLlerhand niederläßL
und aus ihm heraus wirkL?

Fch frage nichL im ErnsL nach dem Numen, bekäme am Ende als AnLworL den
Mamen „KünsLler für InnenarchiLekLur und Wohnungsfchmuck". Es kommL
mir auf wichtigere Dinge an. Kunst ist ein Können, und man weiß auch schon
längst, daß es nichk nur ein Lechnisches Können ist, sondern vor allem ein
seelisches und meist auch ein geistiges. Es ift aber nichL ein Könncn, das vom
Könnenden abhängig ift, sondern das ihm immer wieder gegeben werden muß,
wie etwa das Können eines Zauberers. Es ift ein Rufenkönnen, so zwar, daß
auf das Rufen etwas herbeikommL und eine Weile oder immer bleibL und zuerft
das MaLerial des Werkes und dann dcn ganzen Raum und dann noch viel-
leicht auch die Menfchen, die das Werk sehen und erkennen und genießen —
wahrhaftig genießen, d. h. wie eine Speise in sich aufnehmcn und aus dieser
Speise leben und sich auferbaucn —, daß also jenes Etwas auch diese Men-
fchen verwandelt, verdunkelt oder verklärL. Es ift etwas wie Lebcn, und man
nennL es auch Leben, nennL es auch Scele oder auch Geift, könnte es auch
Dämon nennen, weil man halt keinen anderen Numen dafür haL und darum
einen Namen aus dem Berwandtenkreise dieses Ekwas dafür gebrauchen nmß.
Man hat eö ja auch „Wirkung" genannt, aber das ift fchicr das Armseligste
und Geistloseste, was man Lun konnte in Namengebung, denn Wirkung ist
fchließlich alles, was unter HerrgoLLs Sonne ift. Besser ist es dann, schon
lieber gar keinen Namen zu nennen und desto deuklicher das Borhandensein
und die Würde der herbeigerufenen und nunmehr machtvoll wirkenden Kraft
zu erkennen. Es ift immer eines von den Myriaden Gefchöpfen GoLLes, von
denen der biblifche SchöpfungsberichL wie ein Lernbuch für Anfänger nur die
elementarften und sichtbarften nennt.

Ein solches Etwas war heute in Neusorge, stundenlang. Es ist zwar wieder
verstorben; die Morgensonne rückte über den Mittag nach dem Westen zu,

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