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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 8 (Maiheft 1927)
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Wittig, Joseph: Die Kunst in Neusorge
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0088

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und eines der drei Alpenvcilchen senkte sein Köpflein. 2lber die Verwandlung
blieb. Das ArbeiLszimmer hatte noch am Abend den CharakLer eines Fest-
saales, und ich selber Lrag noch meine Freuden als wie ein Kleid von Seiden.
Darum sage ich: die Kunst war heuLe in Neusorge, denn sie ist ja eben die
Geburt jener verwandelnden KrafL.

Es haben die Maler und Bildhauer und ArchiLekLen gar zu sehr den Nvmen
Kunst sür ihre eigene BerussLäLigkeiL miL Beschlag belegL, so daß sie sogar
auch jene Werke ihrer Hand als Kunstwerk bezeichnen, von denen sie noch gar
nicht wissen, ob jene verwandelnde, verdunkelnde oder verklärende KrasL LaL-
sächlich in ihnen geboren worden ist und aus ihnen wirken wird, wenigstens auf
einen einzigen Menschen. Und wiederum ist unLer manch namenloser Menschen
einfachster TäLigkeiL, wohl nichL miL Wissen, aber doch miL Wärme nnd Liebe
jene KrasL geboren worden; man sprach damals nie von Kunst, aber Lausend Fahre
späLer bildeke man das Werk in den akademischen Kunstgeschichten ab...

Die Geburten der Kunst nennt man seiL langem in der deutschen Sprache
„Schöpsungen". Man denkL aber dabei gar zu ausschließlich: „Schöpfungen
der Künstlerhand". Auch Kinder sind Schöpfungen, Geschöpfe. Hier aber
denkL man nichL so ausschließlich: „Schöpfungen der gebärenden MüLLer";
hier siehL man doch noch stark die schöpserische TäkigkeiL des einen großen
Schöpfers, siehk in den gebärenden MüLLern doch eher den gebenedeiken Acker,
aus dem GoLL den Menschen schassL. Man siehL also hier klarer, siehL ganz
deuklich, daß hier noch ein Wunder ist, das sich weder aus dem Vermögen,
noch aus dem Willen des Mannes und Weibes irgendwie hinreichend erklären
läßL, zumal das Vermögen ofL gar nicht in der Gewalk des Wollens ist und
der Wille sich ofL sträubL gegen die WirksamkeiL des Bermögens. Wir wür-
den also viel weiker kommen in der ErkennLnis und der dankbaren Hinnahme
künstlerischen Schasscns, wenn wir die klarere Schau und die behutsamere
Sprache des Liebesbereichs auf den Kunstbereich überkragen möchken. Auch
die Kunst gebierL nur in der Hand des schasseuden GotLes. Was da wird
und wirkt, ist Schöpfung GoLLes, ist ein Geschöpf, das dem „schassenden"
Künstler gegenüber eine ebenso deukliche UnabhängigkeiL und Selbständigkeit
erringL wie ein Kind den ElLern gegenüber; es überschreitet in seinem Wachs-
tum und seiner WirksamkeiL ofL weiL den künstlerischen Willen dessen, der
sich seinen Meister und Urheber nennt. Ja sogar in seinem Ursprung ist es
nichk durchaus abhängig von den Künstlern. Gotk hat es nur den Künstlern
gegeben, daß es in ihrer Liebe und unter ihrer ArbeiL wird, wie er es den Ju-
den gegeben hat, dem Abraham Nachkommen zu erwecken; hak es nur gegeben,
solange Jsrael seines Beruses würdig war. So gilt auch den Künstlern
in übertragenem Sinne, was den Fuden von dem drohenden Bußprediger
gesagk worden ist: „Gotk kann auch aus den Steinen dem Abraham Kinder
erwecken!" Es ist wohl denkbar, daß sich diese Geschöpfe Goktes einmal nicht
mehr von den Künstlern herbeirusen lassen, sondern daß sie sonstwohin slattcrn
und von da aus das ihnen Eigenkümliche wirken.

Es sind BoLen GoLLes an sein geliebtes Volk. Vom Künstler erhalken sie
weder Existenz noch Sendung; die haben sie von GoLL. Bom Künstler er-
halken sie ihre Erscheinung und SichtbarkeiL, und darum erscheint der Künstler
als ihr Meister und Urheber, sie als seine Kinder und seine Werke.

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