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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 8 (Maiheft 1927)
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ins Grünliche, vom Blonden ins Eold-
braune an Bedeutung. Wieder kornmL
die leichLe gelösle Bewegung zu ihrem
Recht, das Derhaltene, der von außen
gespeiste Gestus der Gestalten verschwin-
det, im „Schreitcnden Jüngling", im
„Schreitenden Mädchen" von ig2Z, der
„Emporsteigenden" von 1926 wirkt wie-
der ein Leben von innen her, ohne jeden
Krampf, mit natürlicher Freiheik und
Anmut.

Zugleich wendet sich Kolbe wieder den
Aufgaben des Porträts zu, in dem cr
fchon früher bedeutende Leistungen (van
de Delde lgiZ, Annette Kolb igiß) zu
verzeichnen hakte. Erst jeht aber scheint
seine Kunst bereit, das Jndividuelle in
seiner vollen Ausprägung ohne Anglei-
chung an das eigene Wesen abzubilden,
Köpfe wie den schmalgeschnittenen Den-
kerkopf Harnacks und den ernsten, be-
dächtigen, leidgezeichneten Kopf Eberts zu
meistern. Viel voni Wesen Kolbes läßt
das Selbstbildnis von ig2Z erkennen: ein
willensstarker, ernster Kopf mit klarer
Stirn, tief i'n den verschakteterr Höhlen
liegenden Augen, dünnen Schläfen, fci-
nen, sensiblen Lippen.

Allen Werken der lehten Iahrc ,'st ge-
meinsam der Verzicht auf eine Form-
straffung, die zuletzt verarmt, auf eine
Empfindungswelt, die verkrampft, wie die
Hinwendung zur Wirklichkeit, die Ehr-
furcht vor dem cinfach Natürlichen. Die
neue Lockcrheit der Mache läßt dic Form
atmen, ohne ihr die Bestimmthei't zu neh-
men, und weist zugleich den Betrachter
an, nicht bei der Frontalansicht zu ver-
harren, sondern im Umgehen das Werk
zu begreifen. Denn jene i'iupressioriisti-
sche Wurzel der Kunst Kolbes führt noch
immer Kräfte zu. Auf Bewegung, nicht
auf Nuhen, auf Durchgreifen und Um-
greifen des Naumü mit dem Mittel des
Körpers, nicht anf Umspülung der schwe-
ren, lastenden Masse des Körpers durch
den Raum ist Kolbeö Kunst abgestellt.
Schon die Themen verraten diesen Grund-
zug: das steile Aufsteigen „Paolos und
Franeescas" oder der freie Hochflug der
„Wolkenfahrt", der gleitende Sturz der
„Viktoria" oder daS dumpfe Schwebcn
der „Nacht".

f^n den kleinen Bewegimgsstudicn ,'n
Bronze wird diese raumumgreifendc
Funktion der Gliedcr besonders deutlich.
Auch die Radi'erungen und die Kohle- und
Tuschzeichnungen bringen in immcr neucn

Varianten hockende, kauernde, kriechende,
kniende, vom Tanz bewegte Gestalten.
Dennoch ist die Bewegung nirgends
Selbstzweck, fast immer ist sie gelassen,
selten steigert sie sich ins Heftige: das
Jnteresse liegt nicht bei der Aktion des
Körpers, sondern beim Körper selbst m
seiner Verschränkung mik dem Raum.

Justus Bier

Hermann Obrist ch

ie schmettcrnde Fanfare scincs ungestü-
men Kampfrufs gegen das„Siechtum
der Malerei" noch im Ohre, müssen wir
von dem streitbaren Kämpen für immer
Abschied nehmen: am 26. Februar ist
Hermann Obrist in München, dcr Stadt
seiner Wahl und seiner treuen Liebe, mit
64 Fahren plöhlich abgerufen worden.
Mit ihm, dem Sohne eines Schwcizers
und einer schottischen Mutter, ist einer
jener schöpferischen Menschen dahin, dc-
ren innerster Beruf es ist, die Zeit geistig
zu bewegen, den Schlendrian wie die eitle
Verstiegenheit an den Pranger zu stellen
und dem neuen Leben den Weg zu be-
reiten. Er selber begnügte sich mit dieser
Mission keineswegs, er wollte nicht nur
verkünd'gcn, er wollte erfüllen. Mag sein,
daß er, der Schöpfer mancheS schönen
Brunnens, sich ein wenig überschätzte,
wenn er si'ch als dcn Mcssias einer neuen
Kunst empfand, die in jenem hoffnungS-
vollen Geistes-Frühling vor dreißig Iah-
ren die auSgehöhlten Stilformen über-
lebter Zeiten cntschlossen beiseite warf und
den unmittelbaren Auödruck der Gegen-
wart schafsen wollte. Dieser jugendfri-
schen Kampfbewegung für die bildcnden
Künste hat Obrist mit der ihm eigenen
geistigen Stoßkraft eine Gasse gebahnt.
Als Lehrer, als Anreger, als Freund und
Förderer wie als temperamentvoller Geg-
ner ist er, der als Künstler Autodidakk
war, bestimmend und führend hervor-
getreten. Von Hause aus Naturwissen-
schaftler und vielseiti'g gebildet, weiter
Länder kundig und wirtschaftlich unab-
hängig, konnte er ungehindert durch bür-
gerlich berufliche Hemmungen und Rück-
sichten gan; und gar sich für das einsetzen,
was ihm als das Höchste galt: das ge-
deihli'che Wachstum deutscher Kunst aus
ihren natürlichen Lebensquellen.

Er war einer der wirklichen Jdealisten,
aber nicht blind, — voll Feuer und Witz,
klug und furchtlos, voll tiefer Andacht vor
dem Schönen, das er in jeder Form liebte
 
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