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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 8 (Maiheft 1927)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0140

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des Publikums in der Hauptsache auf
cin Dutzend Namen konzentrieren läßt,
daß nur wi'e zusällig mal einer von den
vielen Vergessenen oder Halbvergessenen
neben i'hnen auftauchen darf? Matthi'e-
sen hat mi't Erfolg versucht, di'e Lifte
der guten Maler möglichft umfangreich
zu machen; er brachte auch Stücke von
Hoguet, von Di'ez, Lier und Albert
Lang. Erftaunlicherwei'se erwi'es sich ei'ne
Befürchtung als völlig hinfälli'g: näm-
li'ch, daß man nicht 200 Sti'lleben nach-
ei'nander sehen könnte. Die Tempera-
mente der Maler, einem ruhenden Stosf
gegenübergeftellt, wi'rkcn techmsch, gei-
ftig, seelifch in so unendlich verfchiedener
Weise, daß man nicht einen Augenblick
die Ahnlichkeit des Dargeftellten, ja nicht
rinmal die Ähnlichkeit des Problems emp-
findet. Wenn man sich nur eine kleine An-
zahl holländischer Stilleben des i?. Jahr-
hunderts nebeneinander vorftellt, die doch
auch wahrlich abwechslungsreich in der
PersönlichkeitundimDarftellungsftofssind,
die doch auch, wie von 18ZO—igoci, aus
einer bürgerlichen Kultur hervorgingen,
wird uns der Unterfchied gegen damals
klar. Sie wirken einförmig, weil alle
diese Bögel, Blumen, Kuchen, Gefäße,
Früchte das subjektive Genußrecht ftark
betonen. Der Umfchwung zur neueren
Anfchauungsweise trat mit Chardin ein.
Die Dinge haben sich seitdem aus der
nächften materiellen Jnteressensphäre des
Menfchen gleichsam entfernt und dafür,
freier geworden, aus der Diftanz eine
Tülle von neuen Schönheiten entwickcln
können. Das ffahrhundert der Naturwis-
senschaft liegt da;wifchen! Jm Künftler-
haus wie bei Matthiesen hingen auch
eine ganze Anzahl jener neueren Werke
seit Äusbruch des ExpressioniSmuS; sie
hingen nicht an den Hauptftellen, sie
waren teilweise sogar recht lieblos in die
Ecke gefchoben. Das Publikum beachtete
sie sehr wenig, und in der Tat, sogar die
Stücke von Matisse (ein fchönes Werk
Asphodelen bei Matthiesen) und Derain
kamen einem wie kahle theoretifche De-
duktionen vor, ohne zu irgendwelcher
inneren Teilnahme aufzufordern: fchön,
aber 0 wie kalt!

Wilhelm Waetzold, der ja nun wohl den
Generaldirektorpofien der Berliner Mu-
seen übcrnehmen wird, und zwar untcr
dem ungeteilten Deifall der Gelehrten wie
der Künftler, hat sich neulich in einem
Vortrag über die europäifche Lage in der

Kunft verbreitet. Er konftatierte die Jn-
ternationalität des Gesamtproblems und
setzte seine Hofsnung auf den neuen Wil-
len zum Leben, der sich überall, nicht zum
wenigften in Deutfchland, bemerkbar
macht. Er fchien einige Zweifel zu he-
gen, ob die als Reaktion gegen die
blutleeren Konftruktionen auftauchende
Sachlichkeit, die unS wie eine Akroba-
tik im luftleeren Raum vorkommt,
nun eine Wendung zum endgültig Gu-
ten bringen könnte. Sicher wird das nur
gefchehen, wenn eine Persönlichkeit diese
Mittel benutzt, denn von der Durchblutung
mit eigenem Leben hängt die Lebens-
fähigkeit des Kunftwerks in letzterLinie
allein ab, von der Fähigkeit, in einem
fcheinbaren Bruchftück etwas zu sagen,
was, in sich befchlossen, keine weitere
Frage zuläßt. Die Kurzlebigkeit der kon-
ftruierten Werke, die fchon heute etwas
LarvenartigeS faft ausnahmslos nicht ver-
leugnen können, gründet darin, daß ihre
Schöpfer in Voreingenommenheit nicht
wagten, mehr auszusagen, als ihnen ihre
Beckmesserregel crlaubte. Aifti, der das
Kronprinzenpalais für seine Munchaus-
ftellung frcimachen mußte, hat die Ex-
pressioniften nach dem erften Cornclius-
saal überführt und dort zusammenge-
hängk. Das Erperiment verdankt also
sein Dasein eigentlich einem Zufall, aber
eine bessere Klärung hätte man sich kaum
wünfchen können. Der Saal wirkt wie
cine ungeheure Sturmflut; überzeugend,
auch in der Gesamterfcheinung, ift bloß
der Eindruck allgemeiner Begabung, die
sich in den Zwang einer Askese begab,
um Klärung wichtiger Grundfragen zu er-
reichen. Aber mit so messerfcharfen Dok-
trinen läßt sich nicht lange regieren. Da-
für ift im zweiten Stock desselben Hau-
ses die Gedächtnisausftellung eines fchon
igoi geftorbenen Meifters angeordnet:
Otto von Faber du Faur. Es fcheint
beinah lächerlich, wieder einmal zu kon-
ftatieren, daß ein sehr interessanter Maler
sein Leben lang von den maßgebenden
Kunftgesellfchaften, -vereinen, -händlern
und -freunden usw. völlig ignoriert wor-
den ift und niemals hat zur Geltung kom-
men können. Und das, trohdem er als
koloriftifche Begabung — die doch bei
den Deutfchen angeblich so selten und dar-
um so gefeiert und gesucht ift! — ffanz
einzig bei uns dafteht. Er hat Rubens
und Gericault, Tintoretto und Delacroix
kopiert, aber nur, weil in ihm dasselbe
 
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