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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 9 (Juniheft 1927)
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Trentini, Albert: Zwischenspiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0185

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arbeiken und diese urbi et orbi darzeigen! „Nicht übel," hieß es darauf, „und
manches sogar richkig!" Aber entgehe es in der TaL allen, daß die EnLLhronung
der Wissenschaft die llnwissenfchafL auf den Thron gesehL habe? Wer wolle
heuLe noch „lernen"? Wohin sei die Gednld der BeobachLung geraLen, die Ehr-
furchL vor denr ObjekLe, und die erfle Befchränkung auf das sinnlich Wahr-
nehmbare? Der überLriebene RaLionalismus habe einem hochfiaplerifchen Jrra-
Lionalismus Platz gemachL; die aufgeblähte Analyse einer noch aufgeblasene-
ren SynLhcse, und anfiaLL daß ein Zoologe, eLwa, sich damiL begnügLe, die ueu-
enLdeckLe Schlangenspezies exakL zu befiimmen, gebe er sich besinnungslos okkul-
Liftifchen, anthroposophifchen und Lheosophifchen RaLungen hin. Wohin aber
gar eine „enLwissenfchaftete" Philosophie führe, erwiesen zum Erfchrecken deuL-
lich die heutigen „untheoreLifchen, unsyftematifchen, praktifchen" Philosophen!
Znm DileLLanLismus, dessen völlig unverbindlichen ProdukLen alle Primaner,
und von den Frauen die unselbftändigen, auf den Leim gingeu. „Rkein, nein!"
fchnitt eine energifche Hand durch die dickverrauchte Luft; „bevor mit Fug geahnL
und geglaubt werden darf, mnß das Wißbare gewußt werden! Anders wird
das Chaos nur noch uncntwirrbarer!"

Chaos? blitzte es anzüglich durch meinen Kopf. Unenkwirrbar?

Die Kunft kam an die Neihe. Jn diesem BeLrachte, ich war nichL erftaunt,
fchien verhältnismäßig die meifte EinigkeiL unLer den Dreißig zu herrfchen.
Nein! Genies würden, osfensichLlich, auch auf diesem Felde heut nicht geboren;
dic NüLur verbrauche gegenwärtig all ihre KrafL darin, daß sie die Masse ma-
Leriell um eine Stuse emporhebt; für die Zeugung von Bollexemplaren bleibe
ihr also keine übrig, und beide Aufgaben — Vervollkomnmung der Gaktung nnd
dcr Spezies — habe sie erfahrungsgemäß niemals noch gleichzeitig geleiftet. 2ln-
drerseits aber sei fchon in dcn lehten fünf Fahrzehnten der geiftige Durch-
fchnikt des curopäifchen Menfchen zahlenmäßig gegen früher so ungeheuer ange-
wachsen, daß es kcin Wunder bcdeuke, wenn heute fchon jeder Hundertfte „au-
ftändig" fchreiben, jeder ZehnLausendfte „gar nicht übel malen", und jedcr Hun-
derkkausendfte „nicht einmal uneben" komponieren könne. Freilich, in all den
Millioncn dieser Leiftungcn überwiege das FormLalenL den Besitz an ZnhalL.
Zudem seicn selbft die anerkannten Könner, ja sogar die Wenigen, die in der
TaL etwas zu sagen haben, kommerzialisiert, ja induftrialisierL, und fchüfen
durchaus nicht mehr aus eincm Zusammenhang nnt dem „Volke", sondern
cinzig aus ihrer isolierLeu JndividualitäL heraus und, um der WahrheiL dic
Ehre zu gcbcn, auch nur für diese. Die revolukionäre Kunftbewegung jcdoch
habc abgewirtfchafteL; der Expressionismus der bildenden Künfte goß, ebenso
wie jcner der DichLer, HekLolitcr altcn Weins in seine plötzlich leer gewordenen
Schläuche, und die AkonaliLäL — „glaubt jcmand noch an ihre ZukunfL?"
Müsse mau nuu daraus den Schluß ziehen, daß die RevoluLionäre im ent-
fcheidenden Augcnblick den Muk zum Beharren verloren haben, oder daß ihr
„TalenL" nicht ausreichte, um diesen Mut zu bcwahren? Oder, gar, daß vou
den „klassifchcn" Formen und Fnhalten ungeftraft nicht abgegangen werden
dürfe? Achselzucken Bieler. 2lbcr, meinte endlich eine Stimme, wenigftens
eine ncuc Baukunft fchcine doch im Werden zu scin? Odcr? „2lch," erwiderte
ihr flugs ciue andere, „verfallen Sie doch dicser Täufchung nicht!" Oder sehe
man dicse Baukunft anderes baucn, als Nuh- und Zweckbauten? Zugegebcn,

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