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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 9 (Juniheft 1927)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0192

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ln dem Dorf unkergebrachk hatte, LraL bei der Ankunfk der neuen Mannschafken
aus seinem GehöfL auf die Dorfftraße. Wie die LeuLe hießen und wie alk sie
seien. Jeder beankworkeke die Fragen. „Wingulk", sagke der Auffällige, als
die Reihe an ihn kam, „dreiundfünfzig Iahre." Der Offizier fand Anlaß, den
Mann zu bekrachken. Ein Kerl, vornübergebeugken lllackens, mik riesenhafken
Schulkern und gewalkigem Rücken, langen Armen, ungeheuren Händen, auf
ftarken Beinen ruhend wie eingelasfen, sah er aus wie ein ragender ftehenge-
bliebener Brückenpfeiler, an dem nach vorn ein Skück der Wölbung hing,
während man die übrige Brücke abgekragen hakke. Langsame fchwere Bewe-
gungen verrieken unheimliche Kräfke.

„Sie sind also freiwillig ausgerückk. Wann haben Sie im Heer gedienk? Was
ift Ihr Beruf?" —^ Er sei nie Soldak gewesen, ankworkeke der Wingulk.
„Wie kommk das!" fragke der Rikkmeifter; „warum hak man Sie nichk ein-
geftellk?" — Wingulk grinfte ekwas verlegen, griff mik der einen Hand von
unken auf seinen Rücken und sagke: „Ich paßke, glaube Lch, nichk in eine Pa-
radcaufftellung." Das war richkig: ein Brückenpfeiler seiner Ark war mik
einer in Linie aufzuftellenden Kompagnie nichk in Einklang zu bringen.

Der Wingulk war Rheinfchisfer von Beruf und mochke früh genug durch die
zu ladenden und enkladenden Laften seinen Schulkern die Muskellagen ange-
wöhnk haben, die fie jetzk so gewalkig erfcheinen ließen. Nichks befchäftigke
seincn Geift als nur, ob und was man in der Wrlk mik der Krafk seines Kör-
pers leiften könnke. Iahraus, jahrein, kagein, kagaus hakke er immer fchwerere
Laften gehoben und auf den eisernen Gebirgen seiner Schulkern an den Ork ge-
fchleppk, wohin sie gehörken. Er war ftumpf geworden in diesem Dienft und
der Anftrengnng, die er forderke. Aber er war ftolz geworden, ftärker zu sein
als andere.

Ob er den Fahneneid geleiftek habe, fragke der Rikkmeifter. Der Wingulk
wußke nichk, was das sei. Ein Treueid gegen den Kaiser und das Bakerland,
erklärke man ihm. Der Wingulk begrisf das nichk; er kreke doch nur in Dienft;
er diene doch; gegen Lohn und Berpflegung. Es wnrde ihm bedeukek, er habe
dem Kaiser zu fchwören. Ob der Kaiser auch ihm fchwöre, fragke der Wingulk,
und auf alle Fälle bekreuzte er sich, bevor er, wie er es von den andern sah,
die Hand zum Eide hob. Ob das hindere, daß er in Dienft ftehe; er wolle nur
dienen, prokeftierke er, auf einfache Verhälknisse bedachk, die er vcrftand imd
zu überblicken vermochke. Er wollc auch ein Dienftbuch, in dem das alles ftehe.
Das wurde ihm zugesicherk; er erhalke ein Soldbuch. Damik gab sich dcr
Wingulk fcheinbar zufrieden.

Wie von selbst und als ob es seines Amtes wäre, übernahm nun der Wingulk
allen fchweren Dienft in der Schwadron, dessen er habhafk werden konnke.
Er puHLc und warkeke sechs Pferde ftakk eines; er fchleppke dcn ganzen Hafer
für die ganze Schwadron allein vom Wagen; er fchulkerke die fchweren riesigen
Kiften mik Bekleidungsftücken, die faft käglich einkrafen, allein und wippke sic
über den Rkacken an ihren PlaH, daß keiner einc Hand dazu zu rühren brauchke;
und in der Schmiede riß er den widerspenftigen Pferden, die sich nichk be-
fchlagen lassen wollken, die Beine vom Boden, daß ihnen das Schlagen nnd
Sichhinfchmeißen verging. Aber das war alles nichks. Schon nach wem'gen
Tagen bcgann cs den Wingulk zu wurmcn, daß für Wasfcnkakcn, ja selbft

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