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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 9 (Juniheft 1927)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0232

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der rati'o das Wesentliche war; wenn er
keinen Unterschied oder kaum einen Un-
terschied machte zwischen den diametral
verschiedenen Sphären, m die eine Ekstase
führen kann; wenn er im Geist nur den
Zerspalter der Lebenseinheit, den Gegen-
spleler des Lebens, den verwerflichen Er-
finder deS Jchs, der Begriffe, der Zwecke,
der Scheidungen sah und zum Schluß
eine entschieden geistfeindliche Wendung
nahm, der nur das Jdeal einer entgei-
steten tellurischen Geborgenheit entspre-
chen konnte — dann zeigte sich eine Ver-
kehrtheit des Denkens, die kanm weiter
getrieben werden kann. sssn einem fchma-
len SaHe ward einmal erwähnt, daß die
Entrücknng sowohl in die Weiten der Le-
bendigkeit als auch des Chaos führen
könne — aber gerade darauf, nnd nur
darauf kommt es doch wohl an! Nur
darauf kommt es an, wie die Seele sich dem
Drncke des Geiftes, sofern er bloß ratio ist,
gelegentlich zu entschwmgen vermag, ohne
sich ins Chaos zu verlieren. Mit Recht
hielten Keyserling und Richard Wilhelm
dies und anderes dem Redner entgegen und
wahrten so wenigstens eine äußerste Posi-
tion, die von der Menschheit niemals wird
aufgegeben werden können.

Zum Schlusse unternahm es Keyserling,
nach alter Ubung, das Fazit der Tagung
zu ziehen. Er meinte auch hier wieder,
in der Richtung auf sein allumfassendes
„Sinnverstehen", die Redner könnten trotz
ihrer Verschiedenheiten nicht nmhin, so
unter sich zusammenzuhängen, „wie eben
die Welt zusammenhängt." Vielleicht aber
haben ihm dke Angriffe und das gänzliche
Abseitsftehen Prinzhorns doch gezeigt, daß
es für den Menfchen echte Gegensätze
gibt, bei deren realem Entgegentreten ihm
dieser „Welt-Zusammenhang" sehr wenig
hilft. Jm Ernst hängk die Welt eben nur
für Gott durchgängi'g zusammen. Wir
mögen wohl ei'nen Teil der endlosen Kor-
relation erblicken und einen weiteren ah-
nen, aber in unserer eigentlichen, gro-
ßen Situation stehen wir doch nur
dann, wenn wir dem vor höherem Blick
liegenden Weltzusammenhang durchKampf
unö itio in pLrtes entsprechen.
_Wilhelm Michel

Ioseph Wittig

cvz^vittig ist vi'elleicht der einzige deutsche
^-^TTHeologe der Gegenwart, dessen
Dolkstümlichkeit auf den eigentlich theo-
logischen Gehalt seines Schaffens zurück-

lg9

zuführen ift. Zwar gibt es viele Geist-
lkche — und die bei allen Konfessionen —,
deren Name über die „fachlich" inter-
essierten Kreise hinaus bekannt ist. Aber
sie alle verdanken ihre Popularität einer
öffentlichen Wirksamkeit auf Gebieten,
die zur theologischen Disziplin nur in lo-
sem oder in gar keineni Bezug stchen.
Soziale und karitative Betätigung, poli-
tische, literarische, organisatorische Arbeit,
Leistung in einer profanen Wissenschaft
haben sie bekannt gemacht. Bei den gro-
ßen Massen des noch kirchentreuen Vvlks-
teils genügt in den meiften Fällen auch
schon die Autorität eines hohen geistlichen
AmteS, dem Träger persönlichen Nimbus
zu verleihen, ohne daß nach einer indivi-
duellen Bezeugung verlangt wird.

Es ist hier nicht der Ort, im einzelnen die
Gründe dieser Erscheinung aufzuzählen.
Sie sind im wesentlichen auf eine fal-
sche Auffassnng des Derhältnisses der
Kirche zurWelt zurückzuführen, während
auS der richti'gen Erfassung dieser Wirk-
lichkeit die singuläre Stellung des Theo-
logen Joseph Wittig und das Geheimnis
seiner Volkstümlichkeit zu erklären ist.
Oberflächliche Beurteiler sind da mit der
Auslegung schnell bei der Hand. Die be-
sondere Schreibweise WittigS, also ein
rein literarischer Vorzug seines Schaffens,
bedinge seinen Erfolg. Die Einkleidung
theologischer Fragen in die belletristische
Form habe ihm das Massenpublikum ver-
schafst. Nicht der Theologe, der Volks-
dichter Wittig also sei der Mann, der
Anerkennung verdiene. Jn Wahrheit seien
seine Schriften viel mehr Dichtungen als
ernstznnehmende Theologie. Die Jndizie-
rnng habe erfolgcn müssen, weil die Ge-
fahr bestand, daß diese Dichtungen ob
ihres religiösen Stoffes mit einer im Zci-
chen des echten Ringens stehenden Theo-
logie verwechselt würden. Das frei'e dich-
teri'sche Schalten mit theologischen Termi-
nologien müsse bei theologisch unbeschla-
genen Lesern zu Mißverftändnisscn füh-
ren und religiöse Verwirrung stiften.
Jm folgenden soll auf den Streit uni die
Jndizierung Wittigs nicht weiter einge-
gangen werden. Wir wissen nicht, wel-
che Stellen in den inkrimini'erten Schrif-
ten den kirchlichen Autoritäten so falsch
oder so mißverständlich erschienen, daß
fünf seiner Arbeiten auf den Jndex der
verbotenen Bücher gesetzt wurden. Es
fehlt also zn einer Erklärnng für oder
wider die eigentliche Unterlage. Wichtig
 
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