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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1927)
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Fischer, Eugen Kurt: Drama und Bühne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0271

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Serkher ist das Drama eine Tochter der Gelehrsamkeit und Bildung und
der Dramatiker stellt srch Ausgaben, die ergentllch in den ArbeiLsbereich des
Philosophen, des Psychologen, des Pädagogen, des Moralisten, des Politikers
gehören. Der Begrifs des Lesedramas läßt sich aus die Mehrzahl aller dra-
matrschen Produktionen der letzken Zvo Jahre anwenden. Das Buch gibk
eine vollkommenere Vorstellung von den Absichten des Verfassers, als die
beste „Jnszeniernng", denn es ist ja gar nicht in stetigem Hinblick aus die
Bühne geschrieben. Selbst die herrlichen Dramen Schillers vermögen den
ausmerksamen Leser vielsach stärker zu ergreifen als ihre szenische Darstellung,
denn das Beste, was der Dichker zu sagen hat, stellk sich dem inneren Auge
kraft seiner bilderreichen Sprache so lebmdig vor nnd die Handlung
ist so sehr aus der Srnnsälligkeit des szenischen Vorgangs in die Verborgen-
heit seelischer Bewegnng zurückgedrängt, daß dem Regisseur und dem Schau-
spieler nur zweierlei übrigbleibt: entweder in deuklicher Annäherrmg an die
Oper sich wesenklich deklamatorisch zu verhalken, oder zur inneren Aktion
künstlich eine äußere hinzuzuerfinden, die schon gar nicht mehr Schiller rst,
sondern eine willkürliche Erwerterung des Gedankendramas in er'n raum-
körperliches Schauspiel. Bei Hebbel, beim sozialen und Gesellschasksdrama
des ig. Iahrhunderts und vor allem beirn Thcscndrarna wächst die Bühncn-
sremdheit. Erst die stärksten Begabungen unter den Naturalisten, voran
Gerhart Haupkmann, sinden in einigen wenigen Werken zu den Grund-
forderungen der Szene zurück.

Borübergehend ging sreilich mit der Abkehr vom reinen Gedankendrama
und der Zuwendung zur buntscheckigen Wirklichkeit des profanen Lebens
dr'e bedeutsamste Fruchk der rhetorischen Dramenepoche verloren, nänrlich
die hohe Kunst der Sprache, und heute noch leiden wir unter den Fol-
gen der Anarchie, die seit Brahm in der Schauspielkunst sich ausgebreitek hak.
Die gegenwärkige Not des Theakers hat eine Sintslut von Aussähen her-
vorgerusen, die sich größtenteils mit der Frage der Erneuerung des Theakers
von innen heraus befassen, also von der Gesimmng her. In Laienspieler-
kreisen hat man politisch oder religiös gesärbte Gruppcn geschassen, die ein
regelrechkes Gesinnungötheater pflcgen, häufrg — sreilich aus Not —
ohne große Ängstlichkeit gegenüber nnnderwertigen Texken. Andere wicder
gehen vom Berfall der Schauspielkunst aus und erwarken das Wiedcrerwek-
kungswunder vom Spielleiter. Wieder andcre haben begrissen, daß es vor
allem gilt, den Abgrund zwischen Bühne und Publikum zu überbrücken,
und arbeiten an der Organisation der Zuschauer. Alle diese Bestrebungen
sind wertvoll, aber ihr Ersolg ist ern halber, denn die verlorcne Einhei't
der Theatergemcinde in sich und mit dem Theater läßk sich nicht durch irgend-
welche Resormversuche innerhalb des Theaters wiederherstellen: sie ist
cine Teilerscheinung wirklrcher Bolksgemcinschast als Lebens- und Glau-
bensgemeinschaft, die wir so vollständrg verloren haben, daß keine „Rekon-
struktion" mehr hilst und auch kcr'ne künstliche N'eugliederung des sozialen
Organismus. Damit ist aber keineswegs gesagk, daß die Versuche eingestellk
werden sollen, an allen möglichen Stellen die E r l e b n i s k r a st der Massen
und der „gehobenen" Bolksschichten zu stärken, und im Thcater kann nnd
soll dies hauptsächlich geschehen von der Bühne aus.

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