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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1927)
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Groener, Maria: Schopenhauer der Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0344

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nicht anders ruht in dem großen Widerspruche des Künstlers Schopenhauer Wahr-
spruch einer tröstlichen Zukunft entschleierter Weisheit.

Und roelches ist dieser Wahrspruch? Es ist die Wahrheit don der nur-geistigen Be-
öeutsamkeit der Welt. Noch hat Schopenhauer nicht positiv sie ausgcsprochen, aber
mit dem Lapidarlvorte, daß böse und gut an sich nicht vorhanden seien, ist er
herausgetreten aus der Schranke von der moralischen Bedeutsamkeit der Welt, die
er selbst sich gezogen hatte. Weil er nicht versteinert und verkrustet ist, sondern
lebendiger Keim, nur schutzend eingeschlossen in die Schale der Begriffe seiner Zeit,
tvird er Durchgang zu neuer Schau, werden seine Worte zu Symbolen, übersetzbaren,
vieldeutigen.

Durchgang wird er nach Aufhebung von böse und gut zur Aufhebung von klug
und töricht, hellen und dunkeln Geistes und Illbergang zur Frage allein nach weit
unö eng im Hinblick auf Glättung, Besonnenheit, Schaffung der Ruhe, des Ber-
stehens, des Einklangs, des Gleichschwunges der Geister. Und Symbol wird sein
Wort von der Verneinung für das Wort von der Erkaltung.

Beitragen zu der Erkaltung der Welt, um den Stillstand, die Ewigkeit, den Friedcn
und die Ruhe auf Erden zu fchaffen; das ist tiefer Sinn der Verneinung.

Freilich: Skeptiker und Stoiker, Materialist und Atheist, wenn egoistisch über-
betont, haben keinen Sinn für solches Evangelium. Aber wem das Tatoumes der
Jnder aufgegangen, wer Antenne ist nicht nur der eigenen, sondern auch der Leiden,
Täuschungen, Irrungen, Sinnlosigkeiten seiner Umwelt, wer offenen und trauernden
Auges sieht, daß die größten Tröster am tiefsten leiden und die größten Berschmelzer
der Herzen die aller-weidwundeinsamsten sind; daß es keine Strafe gibt, die zeugend
und heilend wäre, sie sei öenn durch Schuld und Leid büßend und bebend erkauft
— wer daS alles in sich lebt und schaut, der weiß, daß eä Seligkei't wäre, auf ei'ner
bleibenden, ruhenden Himmelserde zu sein und nicht mehr nötig zu haben, durch die
Selbstbespiegelung an rastloser Leistung Glück und Frieden sich vorzutäuschen. Und
er weiß, daß solche Seligkeit doppelt wäre darum, weil auf solcher Himmelserde Platz
wäre auch für einen Gottvater des alten Kmderglaubens seelesorgender Mutter!
Und für ein Engelreich der getretenen und zerschundenen Geisteshelden dieser ruhe-
losen Erde von heute, morgen und übermorgen.

Solches Glück einer Erkaltungsverneinung hat Schopenhauer vorgeahnt, wenn er
bewußt weggetreten ist vom Seelenwanderungs- und Karmaglauben fort und hin
zu dem der Klärung des Jch in der Gefchlechterkette, wenn er in der Kunst nicht
allein das AuSrasten des Künstlers und der mit ihm Schwingenden von Erdennot,
sondern auch jene Verschwisterung sieht, in deren alle Kampfhitze erstickendem
Schweigen die Erde den Ruck hintut in die Gletscherseligkeit ihrer Ewigkeitruhe.

Der Künstler in Schopenhauer ist es, der Abgründe aufreißt und Brücken vom Hüben
zum Drüben schlägt. Darum uns auch von Schopenhauer dem Künstler das Wort
kommen konnte, das den Verneiner und den Bejaher Gottes mit dem Liebhaber
der Kunst und der Weisheit in einen Ring zusammenzuschließen vermag: „Wir
schaudern vor dem Tode vielleicht hauptsächlich, weil er dasteht als die Finsternis,
aus der wir einst hervorgetreten und in die wir nun zurückfallen. Aber ich glaube,
daß, wann der Tod unsere Augen schließt, wir in einem Licht stehen, von welchem
unser Sonnenlicht nur der Schatten ist."

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