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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 11 (Augustheft 1927)
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Groener, Maria: Schopenhauer der Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0343

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Keim, und in ihm und in dieser seiner Beschasfenheit oerrät sich Schopenhaner als
Künstler.

Als die Zeit ersüllt Mar, da die abendländische Menschheit ein Stück Glaubens an
den Gott von außen sahren lassen konnte, weil der Jnnengott stark genug geworden
war, um das moralische Schild der Herrenschicht blank zu erhalten, trat der große
Himmelstürzer Kopernikus aus und oerkündete, öaß die Erde um die Sonne wandre
und nicht umgekehrt. Galilei sing in seiner Person die Pseile anf, die ob solcher
Verkündigung von den ausgescheuchten Geistern des Kosmos zu denen des Ehaos
hin und wider slogen. Dann ward der Advent langsam zum Besitztum der Geister;
das Alte paßte sich dem Neuen an, und als die Brücke stark genug geslochten war,
um Neues zn tragen, da war wiederum die Zeit ersüllt, und es traten Laplace und
Kant auf den Plan, den Schritt vom Wie znm Woher zu treten. D!e Erde, eine
Absplitterung der Sonne, die zur Erkaltung kreist; wir, Miasmen in der Moder-
haut . . . . riß solcher Fansarenruf des unerhört Neuen nicht allein die Lebendigen
mit fort, störte er auch die Ruhe der Gräber? Man sollte es meinen; aber selbst
die Hundertjahrseierglocken der Stadt Königsberg sangen und klangen nicht die-
sen, den größten Fansarenton in das Ohr der Schläser und Traumwandler. Nur
eine kleine Handvoll Erwachter steht abseits,. ungehört, vergreist und doch ewig
jung: unter ihnen einer der Ergrissensten, der Mitgerissensten, Schopenhauer. So
sehr hat es ihn gepackt, daß er seinen reifen, abgeklärten, zweiten Band beginnt
mit dem Gemälde der neuen Weltschau: „Jm unendlichen Raum zahllose leuchtende
Kugeln, um jede von welchen etwa ein Dutzend kleinerer beleuchteter sich wälzt, die
inwendig heiß, mit erstarrter, kalter Rinde überzogen sind, auf der ein Schimmel-
überzug lebende und erkennende Wesen erzeugt hat — — — eine mißliche Lage,
auf einer jener zahllosen im grenzenlosen Raum srei schwebenden Kugeln zu stehen,
ohne zu wissen woher noch wohin, und nur Eines zu seyn von unzählbaren ähnlichen
Wesen, die sich drängen, treiben, qnälen —-"

Und nun, im Angesichte dieser ErkenntniS und in der Tatsache des Lebens des Er-
kenners nach eben dieser Erkenntnis — humorvoll sehr und ein wenig bissig und
immer erhaben-resigniert — nun, im Angesichte all dieses und in schreiendem Wider-
spruche dazu die Behauptung von der moralischen Bedeutung der Welt, vom Sinn
des StrebenS und Unsinn des Selbsttötens, von der Wichtigkeit jeder einzelnen kleincn
Szene des Lebens, jeder Handbewegung, jeder Herzensregung, jeden Blickes, jeden
Wortes, jeden Gedankens.

Das i s t Künstlertum, Künstlerschau, Künstler-dennoch, und in diesem Für und
Gegen ossenbart sich der Schöpfer der Welt als Wille und Vorstellung als der, der
er ganz und vor allem ist: K ü n st l e r.

Denn der Normalmensch sagt und sagt mit Recht: Wenn zuletzt die Welt stehen
bleibt in Erstarrung, wozu lebe, liebe und strebe ich? „Der Glaube an Gott ist ein
Betrug am Leben", sagt der Skeptiker. Hat er nicht recht? „Lasset uns essen und
trinken, denn morgen sind wir tot", sagt der Materialist. Jst er nicht ejnzig kon-
sequent? — „Geh an der Welt vorüber, es ist nichts", sagt Anvari Soheili. Jst
nicht seine Weisheit die höchste?

Aber wir wissen es anders und besser.

Da steht Rembrandts Tempelwächter auf der Radierung der Tempeldarstellung
Christi mit dem großen Turban, der breiten Brustbinde und dem glänzenden Wäch-
terstab und ist dreimal so groß wie der dicht neben ihm knieende Josef. Nnr aber
der, der mißt, ersaßt das. Wer mit dem Herzen sieht und nicht mit Zentimetern
mißt, bemerkt es nicht. Das ist das Zwingende in der Kunst Rembrandts, das
Unsterbliche, die Andeutung einer neuen Schau, deren Keim in der Schau von
heute ruht und in Rembrandt als kommend sich vorahnend wahrgesagt hat. So und

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