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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1927)
DOI Artikel:
Reisner, Erwin: Protestantische Religiosität und philosophische Erkenntnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0352

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der gewrsse Zusah „sür GoL". Dre negakrve oder radrkal protestantrsche
Philosophie endet beim Nichts. (Iie ist die dem Diesseitigen zugewandte
Seite des religiösen Geisles, sie beschästigt sich lediglich mit dem Nrgativen,
und zwar im vollen Bewußtsein seiner Negativität, mit der Auflösung des
Wahrheitserkenntnis-Wahnes; sie weiß, daß der Gegenßand
aller Reflexion nicht das Leben, sondern das Nlcht-Leben, der Tod ist. „Des
Menschen Anspruch", sagk Gogarten, „ist der, daß der andere ganz sür ihn
da sein soll. Qder anders ausgedrückt, daß er Gott sein will, und daß ihm die
Welt und alles, was in ihr ist, so gehöre und so diene, wie sie allein Gotö
gehören und dienen kann." Wir unterschreiben diese SäHe Wort sür Wort,
aber wir sehen eben die Aufgabe der Philosophie darin, die Nichkberechtigung
jenes Anspruches nachzuweisen. Die andere Aufgabe, der Nachweis — wenn
hier der Ausdruck überhaupt noch einen PlaH hat —, daß der Anspruchs-
berechtigte Gokk allein ist, fällk bereits in die Kompetenz des Glaubens.
Zwei schwere Gesahren sreilich drohen einer solchen negativen Philosophie,
zwei Gesahren, denen nur die allergrößte Borsicht wird ausweichen können.
Die erste ist die nihilistische Mystik des Buddhismus, die LroH aller Ber-
neinung der Sinnlichkeit am Ende doch im Srnnlichen und Rauschhasten
stecken bleibt und stecken bleiben muß, weil für sie am anderen Ufer nichk das
ewige Za Gokkes stehk. „Versiegk ist die Geburt, vollendek das Asketentum,
gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt." Jn so dithyrambischen Tönen
wird christliche und vor allem protestantische Nüchternheit den Zusammenbruch
des Jrdischen niemals besingen, weil ihr die geheime Wollust des Bergehens
genau so sremd ist wie die Hossart der Selbstbehauptung.

Bedeukend gesährlicher aber als dieser Abweg ist für uns der zweite: die
Pathekisierung des Negakiven. Zwar versucht hier der Mensch
nicht mehr, den Weg zu Gott aus eigener Kraft zu sinden, ja er erkennt
sogar, daß sein ganzes bewußtes Wollen und Forschen notwendig von Gott
abführen mnß, aber er rechnet sich diese negative Erkenntnis irgendwie an,
er gesällt sich als der Erkennende in seiner eigenen Nega-
kivität, und das ist vielleicht die äußerste Gourmandie des gotkfremden
Geistes überhaupt. Aber an dieser Skelle kommk eben alles gar nicht mehr
aus die Lehre, sondern arrs den Lehrenden selbst an. Mit der negakiven
Philosophie verhälk es sich genau ebenso wie mit der negakiven Ethik, der
Pflichtethik. Beide lassen keinen Schluß mehr zu auf das Essentielle des
Menschen, beide können rein äußerlich bleiben und den Verstoßenen wie den
Auserwählten umkleiden; denn beide sind nur der negative Rest einer ursprüng-
lich positiven Gottbezüglichkeit. Qb sich hinter ihnen ein echter, wenn auch
verzweifelter Glaube oder doch nur wieder das Pathos des »eritis sicut Oeus"
verbirgt, wer könnte da mit Bestimmtheit etlvas behaupken?

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