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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1927)
DOI Artikel:
Reisner, Erwin: Protestantische Religiosität und philosophische Erkenntnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0351

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sich mik ChrisienLum noch gar nichks zu Lun hat, sondern bloß auch im
ChrislenLum ihre Verwirklichung sinden kann. Das Gemeinsame muß sich
sosorL zcigen, wenn vom Idealisnms alles abgeslrichen wird, was an ihm
unchristlich, spezifisch werLphilosophisch oder, sageu wir ruhig, heidnisch ist.
Zum Vergleich eigneL sich sreilich weniger der exLreme spekulaLive Idealismus
Hegels als die „kriLische" Philosophie KanLs. Hier ist der ProLestantismus
unverkennbar vorhanden, zwar nichL in seiner christlichen, aber wohl in
seiner Lypisch philosophischen Gestalt: als Ablehnung sowohl der Werk-
meLaphysik wie auch der der TOerkheiligkeit entsprechenden eudämonistischen
Ethik. Was hier inncrhalb des philosophischen Bezirkes vorgeht, gleicht
durchaus der resormatorischen Wendung. NichL das ist sür uns jeHL wesent-
lich, daß die FreiheiL betonk und die Selbstbewahrung gesorderk, sondern daß
die kausale GebundenheiL des Objektiven ausgezeigt und die LriebhasLe Hin-
gabe an diese WelL abgelehnt wird. Ausschlaggebend und charakterbestim-
mend bleibt also in beiden Fällen das negative MomenL. Denken wir nns
die stoisch-idealistische PflichLethik ins ExLrem getrieben, so erübrigt schließlich
nichts als der VerzichL schlechthin, und das eben ist die Ethik des rücksichtslos
Wahrhaftigen, der seinem GoLL noch nichk begegnet ist, also auch die Ethik
des negativ Religiösen, des negakiv gläubigen evangelischen Christen. Der
Stoiker bewahrt sein Zch ohne sichtbaren Grund, ohne Hofsnung, nur im
gesorderten Gehorsam gegen das GeseH, der Christ Luk dasselbe, aber mit
dem ZusaH „für GoLL", ein UnLerschied, der nicht die ethische, sondern
ausschließlich die religiöse Sphäre berührt.

Wir sehen somiL, daß die reine Ekhik, wenn sie einmal restlos ncgakiv ge-
worden ist, mit der protestankisch-christlichen zusammenfällk. Was ihr fehlk,
ist lediglich das Venkil der GoLLbezüglichkeiL; gewiß ein MomenL
von ungeheurem SchwergewichL für den zur Rechkferkigung aufgerufenen
Menschen, aber ohne jcdwede Bedeutnng für die Form des Ekhischen selbst,
und zwar bis in die allerleHLen Tiefen des Gewissens und der Gesinnung
hinein. Wenn schließlich auch dem Stoiker das christliche Bentil geöffnek
wird, so änderk das doch nichks mehr an der siLLlichen Gestalkung deö Lebens.
Die UuvereinbarkeiL bestehL nur so lange, als das Heidenkum — und das ist
jede vom geoffenbarken GoLL isolierke Philosophie — diescm GoLL irgendeinen
anderen Wert aus dem eigenen Bestand entgegenstellL.

Genau dus gleiche gilk nakürlich vom WahrheiLscharakLer der Philosophie,
also vom eigcntlich Philosophischen. 2luch hier schwindet jeder GegensaH,
sobald der Werk-, der WahrheiLswahn geopferk und die Philosophie, den
von KanL eingeschlagenen Weg konsequenk ins ExLrem verfolgend, rein analy-
Lisch wird. An die Stelle einer Metaphysik der WahrheiL LriLL dann cine
Metaphysik der UnwahrheiL, des IlnwerLes und nichk ckwa nur
eine unmetaphysische Philosophie, die sich, wie auch der NeukanLianismus,
doch noch immer ein Rkebengeleise für den WerL osfen hälk. MiL unerbitL-
licher Folgerichtigkeik hat Karl Barth gezeigt, daß die Religion nichk etwa die
Blüte am Baum der KulLur, nichk die leHLe Weihe des Lebens im romantisch-
senLimentalen Sinn, sondern gerade umgekehrk die absoluke Krisis alles
Diesseitigen und Menschlichen überhaupt ist. Von der negakiven Philosophie
wäre das nämliche zu sagen, nur daß hier eben wieder das VenLil fehlt,

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