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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 11 (Augustheft 1927)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0394

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rwch vor wenig Jahren unmöglich ge-
wesen wäre. Abermals dnrchkreuzen sichdie
beiden Wege: denn wie im Jltechodischen
die aufgelöste Wissenschast zuletzt sym-
bolisch wieder als der intellektualisierte
Mythus unserer Zeit erkannt wird, so
tritt wiederum im Metaphysischen der
Mythusinhalt in erneuter Symbolkraft
hervor, um sich noch tieser zu behaupten.
Dieser Kampf zwischen „Logos und My-
thoö" um Gehalt und Sinn der kom-
menden Kultur ist die kürzeste Formel
für die geschichtsphilosophische Aufgabe
unserer Zeit.

Jns Zentrum dieser Fragen führt daS
neue Buch des österreichischen Philoso-
phen Erwin Reisner „Das Selbst-
opfer der Erkenntnis, eine Bewachtung
über die Kulturaufgabe der Philosophie"
(Oldenbourg Verlag, München). Sein
früheres Werk „Die Erlösung im Geiste"
erschien bei Braumüller, dem Erstver-
leger Spenglers und Weiningers — ein
nicht zufälliger Zusammenhang. Wie letz-
terer ist Reisner der geborene Metaphy-
siker, von ethischer Grundrichtung, doch
mit starker erkenntnistheoretischer Ein-
stellung. So verkörpert sich in seinem
Wesen selbst die Spannung der zwei
Wege. Zur Lösung ihres Widerspruchs
muß er der Wissenschaft den metaphysi-
schen Wertgehalt oöllig aberkennen: ihre
Konstruktionen können nur entwerten.
Jhre „Schuld" wird philosophisch durch
den Phänomenalismus mitgesühnt, der
Unwert des Gegebenen wird nur „der
wahrnehmbare Gegenpol des nichtwahr-
nehmbaren göttlichen Wertes". Diese
Wendung zu dem religiös erfaßbarcn
(geoffenbarten) Anseits mag vielleicht
befremden. Fruchtbar äber bleibt die
scharfe und entschlossene Trennung zwi-
schen allen Jntellektualbegriffen und dem
ethisch-religiösen, sinngebenden Wert. Die
so erwachsene Überlegenheit bewährt sich
bei der großen prinzipiellen Schlußab-
rechnnng mit der Rickertschen Wertwis-
senschaft als der vornehmsten Reprä-
sentantin jeder „Scholastik", dieses fälsch-
lichen, unreinen Bundes zwischen Jntel-
lektualität und Ethos, gegenüber dem
organischen Besweben einer (schließlich
religiösen) wirklichen Metaphysik.

Es ist aber bedeutsam, daß nun anderer-
seits diese von Windelband über Rickert
zu Lask fortschreitende philosophische
Schule selbst immer entschiedener sich
zur Metaphysik gedrängt sieht. Her-

rigel hat in seinem neuen scharfsinnigen
Werk „Urstosf und Urform" (Mohr,
Tübingen) eigentlich diese Wendung ab-
geschlossen unö damit gezeigt, daß auch
eine rein im Wissenschaftstheoretischen
beginnende Entwicklung schließlich meta-
physisch zu enden genötigt ist. Und so
ergibt sich aus der Sache selbst die
Antwort und Bestätigung der Frage
Reisners nach der Unzulänglichkeit der
bloß abstrakten Rationalität der Wissen-
schaft und öer notwendigen Verankerung
des Logos im werthaften Absoluten —
gegenüber jeder irrationalistischen und
quietisli'schen Mystik! Auch hier zeigt
sich als letzte und ausgleichende Dersöh-
nung das vertiefte und lebendige Ver-
stehen des Mythus als „des Traums,
den der wissenschaftliche Mensch ver-
gessen hat", obwohl er tiefer und im
ewigen Sinn wahrer ist als all seine
erforschte „Wirklichkeit". Und wieöer
treten hier Geschichte und Natur als ein
verschlungenes Streiterpaar zum Kampfe
an, von dessen Ausgang die Vertiefung
unseres kommenöen Bewußtseins unö
Weltbildes wesentlich abhängen wird.

Zu dieser Frage hat auch Reisner in be-
deutenden kritischen Aufsätzen (vgl. u. a.
Kunsrwart XXXX. Jg., Heft 2, 7, 11)
sich mehrfach geäußert. Eritscheidend ist
dabei, wie auch in seinen beiden grö-
ßeren Werken, seine scharfe, unnachsicht-
lich kritifche Einstellung gegen jene Uber-
gangsszene der Selbsttäuschung und un-
zulässigen Vermischung ganz verschiede-
ner Gebiete — des abstrakten, rational-
kausalen Denkens und der künstlerisch
oder religiös deutenden Anschauung —,
eine kritische Gefahrenzone, die bei jedem
dieser neueren Versuche zur Synthese zu
beachten ist, ob er nun in naturphiloso-
phischer oder geschichtsphilosophischer
Richtung unternommen wird (entspre-
chend der Fragestellung Dacques odet
der Bachofens, mit denen beiden Reis-
ner in seinen Anfsätzen sich auSeinander-
setzt).

Die Lösung wird unseres Erachtens nur
aus einer vertieften Zusammenschau des
metaphysischen Natur- und Geschichts-
bildes möglich sein, in der jeweils der
gültig erarbeitete innere Sinngehalt des
einen auch das andere mitbefruchtet, so
daß dann das Ziel wirklichen Gleichge-
wichts einer Gesamtweltanschauung wie-
der erreichbar würde. Hierzu wird die
Arbeit Reisners in mehr negativer, aber

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