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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Zur soziologischen Umwandlung der Familie
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0406

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m „Häusern", die Arbeitsordnung bestimmLe die Familienordnung; die Familie
aber als WirLschaftszelle nahm gliedhafk am öfsenLlichen Leben und seinen
Ordnungen in RechLen und PflichLen Leil. Die Familienangehörigen waren
nichL als Fndividuen, sondern als Glieder einer WirLschafkszelle und deren
ArbeiLsordnung Volksglieder.

Die Neuzeik hak grundsätzlich und in wachsendem Neaße die WirkfchafL aus
der Familie hinaus in Lechnische Bekriebe jeder ArL verlegk; sie hak die
WirLfchafL zugleich den privaLen Kräfken, den vom RkakurrechL des Skaa-
tes künftlich gefchaffenen moderuen I'ndividuen bzw. PrivaLpersoncn anheim-
gegeben. D. h. die Nruzeik, vor allem auch der neuzeikliche SkaaL haL die
WirkfchafL aus der Volksordnung enklassen und auf die individualiftifch-privaL-
rechkliche Grundlage des DerLrags geftellk. Waren die mikkelalkerlichen, „häus-
lichen" ProdukLionsgemeinfchafLen Zellen der Volksordnung, so sind die ueu-
zeiklichen Bekriebe organisakorifche, auf Privakverkrägen vou Individuen auf-
ruhende Bildungen außcrhalb der Volksordnung: solche organisakorifchen
BerflechLungen von Individuen, die zuerft sur das GebieL der WirLfchafL aus
der Bolksordnung enklassen wurden, bilden die moderne „G e s e l l s ch a f L".
Das Haus, die Familie lebte zwar auch fürderhin noch aus den LradiLionellen
KräfLen der alkcn Bolksordnung, solange diese KräfLe eben noch nachwirkten
— und so ja bis zur GegenwarL —, aber inftiLukionell, d. h. ihrer ge-
fchichtlichen öffenklichen Skellung nach ift die Familie fchon seik Iahrhunderken
nichk mehr „Zelle der Bolksordnung". Sie ift mehr und mehr privakisierte
GemeinfchafLsform geworden, wirkfchafklich gesehen: KonsumenLenhaushalL.
In die privaLisierkc Familie abcr begannen die Dämonen der individualiftifchen
WirtfchafLsgesellfchafL und der fozial anarchifchen ArbeiLswelL hineinzuwir-
ken und die Kräfte der Familie, die der Erneuerungsquelle der Bolksordnung
enkbehrken, zum Versiegen zu bringen. Denn die bisherige gefchichtliche Fami-
licnordnung verdankt ihren Sinn und ihren feften HalL zuerft und zulehk ihrer
organifchen Gliedftellung als WirtfchafLs- und damik als Bolkszelle, so vor
allcm in den beiden Formen der bäuerlichen und bürgerlichen (handwerklichen
und kaufmännifchcn) Familie. Bon der Arbeit endgültig verlassen und aus
ihrer Skellung als Bolkszelle hinaus verwiesen, mußke sie unaufhaltsam der
Äuflösung verfallen. Daß auch die Landwirtfchafk ftekig — und heute in
rafchem Tempo — sich aus dcr Familie heraus zum modernen Bekrieb auf
individualiftifch-rationaler Grundlage enkwickelk, kann nur dem enkgehen, der
immer nur Gegenden im Auge hak, denen konservaLive Lebens- und ArbciLs-
formen gerade noch erlaubk sind.

Die programmatische Pflege des Familiensinnes und die Reorganisakion der
Familienordnung, wie sie sowohl von der kirchlichen Seelsorge als auch von der
welklichen SozialpoliLik und sozialcn Fürsorgc sei'L der Mikke des ig. Iahr-
hunderks in zunehmendem Maße bekrieben wird, überfchähk ihre Bedeuknng,
wenn sie, vcrführL durch einen gewissen Erfolg in die BreiLe, mehr zu leißen
wähnk als individuelle Familiensanierung, als Symkombekämpfung von
Fall zu Fall. Sic vermag das Übel jedenfalls m'chk an der Wurzel zu fasfen;
sie übersiehk, daß die Auflösung der Familienordnung nur Teilerfcheinuug und
Folgc der umfassenden säkularen Auflösung der Volksordnung iß; sie ver-
kehrk die Zusammenhängc, wenn sic das Übel nach dem Rezepk bchandelk: „Die

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