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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0448

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entsteht z. B. die Derpflichtung, die von der Denktveise deö Positivismus überkom-
mene Allssassnng der Wissenschaften als einer Reihe nebeneinander postierter Jsolier-
schemel zu revidieren. Mit Notbrücken, mit bloßer Logomachie ist nichts getan; was
notwendig in den Blickpunkt rückt, ist etwaS tiefer Liegendes: die Jdee der Wissen-
schaft überhaupt, der zentrale Bezugspunkt, der sür alle wissenschaftliche Einzelbe-
tätigung sinnspendend ist.

Dacque geht diesen Weg. Das Hauptergebnis, zu dem er gelangt, ist die Erkenntnis
einer grundlegenden Divergenz: „Es gibt ... zwei Wissenschaften: eine, öie rational
ist und in Zeitschriften, Hörsälen, Lehrbüchern zutage liegt; eine andere, in der sich
die Suchenden und Wissenden mit den Worten andeuten, wessen sie sich „erinnern"
wollen, um sich darin erst zu verstehen. DaS Magische nun ist das, was nur aus
solche erinnernde Weise mitgeteilt und erklärt werden kann und anders überhaupt
m'cht." Durch kampslose, nur logische Scheidungen und Abgrenzungen läßt sich,
wie die Dinge heute liegen, diese Einsicht nicht mttteilen; es sallen scharse Hiebe.
Jmmer wieder sind in DacqueS eigenen Gedankengängen Stellen eingeschaltet, in denen
kräftige Abrechmmg gehalten wird mit den Dogmen, chie aus den Rüsckammern der
Wissenschastsgesinnung alten Stils hervorgeholt zu werden pflegen: mit dem Dogma
von der „Boraussetzungslosigkeit" der Forschung, mit der Verabsolutierimg des
rechnenden, zählenden, messenden Verstandesdenkens, mit der Doktrin von der Be>-
lcmglosigkeit des Menschen in der Wissenschast und im Wissenschastler.

Aber aller Kampf ist nur Ausdruck sür die Schwere der unserer Gegenwart übev-
tragenen Ausgabe: unter der Last ernes überreichen Erbes die Krast zu sinden zu
dem wirklich aus eigenem Seinsgrund hervorgewachsenen Wort. llnd auch das
neue Wort, das sich im Schatten eines gealterten wissenschasckichen Legitimismus
sormen will, kann, wenn es Gewicht haben soll, imr ein altes, über die Zeiten
reichendes Wahres zum Ziel haben: die Aussindung eines wahrhast Einenden und
für den menschlichen Geist Berbindlichen (denn ohne ein solcheS kann keine Wissen-
schaft lebendig bestehen, weder die alten Stils noch irgendeine neuer Art).

Das Kriterium sür jene „andere", über die äußeren Postulate von blvßer Richtigkeit,
Widerspruchslosigkeit, versiandeskritischcr Sicherung sich erhebende, d. h. „zur inne-
ren Wahrheit vertiefte" Wissenschaft liegt nach Dacque in der wesenckichen Beteili-
gung des M enschen an allem aus Erkenntnis des Wahren gerichteten Tun. Die
ost beredete Wissenschastsmüdigkeit unserer Zeit liegt letztlich darin begründek, daß die
Wissenschaft mit ihren Methoden den Menschen nicht erreicht. Sie erreicht ihn nicht,
weil sie sichs zum Gesetz gemacht hat, die menschliche Region auszuschalten, weil sie
es sür einen Raub an der überzeitlichen Reinheit „wissenschastlicher Forschungsergeb-
nisse" hält, wenn der Mensch in seiner Ganzheit, nicht bloß als rss oogitans sich
ausspricht. Persönlichkeit ist etwas, was nur (z. B. unter dem Titel der „subjektiven
Komponenten") als Anzeiger des Zufälligen, Getrübten, Derantwortungslosen im
wissenschastlichen Denken vorkommt; als ein Moment, dessen Unschädlichmachung
einer exakt eingestellten Wissenschaft Chrensache sein muß. So ties sitzt die von
einem salsch orientierten wissenschastlichen Objektivitätswahn eingepflanzte Furcht
und der Abscheu vor allem „Anthropozenckischen".

Es ist in einem bedeutenden Sirm ein Ereignis, wenn in unseren Tagen, ein paar
Jahrzehnte nach der Alleinherrschaft des Naturalismus, Positivismus, Materialismus
ein Natursorscher Sätze niederschreibt, wie sie sich in dem Z. Kapitel des Dacqueschen
Buches sinden, das die bedeutungsvolle Überschrift trägt „Der Mensch als Maß":
„Es gibt ... weder eine nur objektive Welt, noch eine nur objektive Wissenschast;
sondern eö gibt im geistig-Iebendigen Sinn nur eine anthropozentrische Welt und nur
anthropozentrische Wissenschast. Und diese allein ist die exakte, weil sie an die Wirk-
lichkeit rührt. Jede anders gedachte ist Fiktion, die dann auch nur zu siktiven Ergeb-
 
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