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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0449

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nissen sührt." So grundlegend verändert ist die geistige Haltung, daß sogar ein
so veraltetes, in der Wissenschaft gern gemiedenes oder nnr mit entschnldigendem
Lächeln verwendetes Wort: „Seele", plötzlich wieder Leben, Lenchtkraft, nnergründ-
liche Tiefe empsängt. Der erste Satz des Bnches lantet: „Es gibt nnr eine wichtige
Frage im Dasein; das ist die nach der Seele des Menschen." Und dieser Satz sührt
in mecliss rss; er soll die Richtung weisen, in der die wahre, innere Allgemeingültig-
keit zn snchen ist; er bekundet den Willen des Sichbesinnens aus jene größere, dte
Teilsphäre deS Rationalen umgreisende Sphäre, die die Voraussetzungen der Einheit
alleS wesentlichen ErkennenS in sich birgt.

Es ist kein neuer Weg, so wenig neu, daß man seine Beschreibung ebensogut durch
einen Satz von Augustin, Meister Eckhart, Novalis ersetzen könnte. Nur um ein
Wiederentdecken handelt es sich, in dem Sinn des Goecheschen Wortes: „Alles Ge-
scheite ist schon gedacht worden, man muß nur versuchen, es nvchmal zu denken." Die
Entdeckung eineS alten Neuen aber empsängt ihre Fruchtbarkeit und ihre wirkenden
Möglichkeiten nur aus ihrer Gemäßheit zur Forderung deS Augenblicks. llber diese
Gemäßheit kann kein Zweisel bestehen. Wenn Dacque in dem Streben nach „jener
inneren Klarheit, ohne die jedes Wissen Gefahr, jede Naturerkenntnis Betrug und
jede Lehre Gift sür des Menschen Herz werden kann", den Entscheidungen des bloßen
JntellektS die Schlüsselgewalt abspricht und die Norm einer abstrakt-logischen, das
Sein deö Denkers ausschließenden Allgemeingültigkeit als entleertes Jdeal kennzeich-
net, so sindet darin nicht etwa allein die private Meinung eines AußenseiterS, son-
dern ei'ne in unsrer Zeit (auch im Leben der Wissenschast) zur Reife gediehene all-
gemeine Überzeugung ihren Niederschlag. Freilich — dieser von der Notwendigkeit
zur Abwehr gedankenloS slacher Diesseitsgesinmmg diktierte Schritt bedeutet einen
Appell an die lex intiws der Wissenschaft, an daS Denk g e w i s s e n. Es geht tn
der Tat um die Ermittlung der Grundgesinnung, mit der, unter den Bedingungen
des gegenwärtigen LebenS, Wissenschast ehrlich zu treiben möglich ist.

Obwohl die Bedeutung von DacqueS Gedanken solcherart ins Weite reicht, bleibt
er auch in diesem Buch mit Willen und Bewußtsein Naturforscher. Hier liegt sür
ihn daS Gebiet, auf dem ers unterm'mmt, die auch der sorschenden Einzelarbeit un-
entbehrliche metaphysische Rückverbundenheit entschieden ins Licht zu stellen. Die
Konzentration aller aus dieses Ziel weisenden Erkenntnisse findet er in dem Begriss
des Magischen. Es läßt sich darüber streiten, ob die Wahl des Worteö, dessen
Klang auch sür ein unbefangenes Gehör durch einige satale Dbertöne irritiert er>-
scheint, glücklich sei. Der Sache nach dient der Begriss des „Magischen" Dacque
als Träger der Einsicht, daß der natürliche KoSmoS nicht aufgeht in den Formeln
und Gesetzen des rechnenden und messenden Verstandes, dem er ja nur die Außenseite
und Schale zuwendet; daß das Ganze der Natur auf irrationalem Grunde ruht und
in der Fülle seiner Erscheinungen Manisestation eines Jnnerlich-Lebendigen ist, das
selbst nur wieder durch Jnnenschau, durch den Rückgang aus jene Tiefen zu er-
fassen ish „wo das eigene lebendige Wesen des Menschen von innen her mit dem
schafsenden Wesen der Natur eins tst". Dieser „Beitrag zu einer magischen Welt-
lehre", wie sich das Buch im Untertitel nennt, ist keine Kuriositätensammlung;
darin liegt seine eigentliche Bedeutung, daß sich der vom Stauwehr wissenschast-
licher Orthodoxie etngedämmte Drang nach einer lebendig-unmittelbaren Verbindung
des erkennenden Geistes mit dem schöpferischen Gesamtleben der Natur einen Durch-
bruch geschassen hat. Wir kennen aus unsrer zeitgenössischen Literatur wohl manches
Beispiel einer enthusiastischen Amusung des „Unnüttelbaren", die, aus geistiger Un-
befriedigung und machtloser Sehnsucht geboren, verschwebende Emphase bleibt. Hier
ist mehr: kein dünnes, leicht wieder ver'siegenöeS Rinnsal, sondern ein krästiger Strom
ergießt sich aus der Durchbruchsstelle, der eine Anzahl bisher brachliegender oder
wenig tragender Felder zu befruchten beginnt.

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