Lrstes Zanuar-Dett 1692.
7. Ltücll.
Lrsckctnl
Derausgeber:
Zferdinand Rvellarius.
LcskLtlprcts:
vierteljährlich 2» z Mark.
5. Zalng.
Ikunst und Dolizei
deu zahlreichen ruld lebhafteir Lrörte-
^D^^^rungen, die zu der 6treitsache Knnst und
-^MHM^ittlichkeit neuerdinas gepflogen werden, ist
ersreulich: daß es lfler noch nicht ge-
glückt ist, die Gedanken in die politische j?arteischab-
lone einzuzwängen. Denn es ist nicht wahr, daß die
Konservativen in dem Nuse uach schärserer obrigkeit-
licher Orüsung der Aunstwerke auf die 6itt!ichkeit hin
einig seien. Den Mahnrusen von 6>ynoden hat sich
z. B. in sehr entschiedener weise gerade das „Ron-
seroative wochenblatt" entgegengestellt, und der INann,
der früher einmal die Theater-Zensur auch in ihrer
schon bestehenden Lorm im „Knnstwart" bekämpfte,
ist Redakteur des amtlichen Grgans einer sehr kon-
servativen und der Geistlichkeit woblwollenden deut-
schen Negierung. Auch sind die Angehörigen der
gleichen politischen j)artei, wenn sie in dieser 6ache
vereinsweise auftreten, keineswegs einig in der wahl
des Richtungspunktes für ihren vormarsch. 60 pro-
testirte jüngst eine große antisemitische Versammlung
gegen die Ausführung von „Sodoms Lnde" als eines
gefährlichen Iudenstücks, während in einer andern
Stadt das Antisemiten-Grgan dasselbe 6tück als einen
INitstreiter gegen die Iuden begrüßte. Das also steht
wohl fest: in irgend ein jDarteiprogramm ist der Ruf
nach strengerer staatlicher Überwachung der Runst
noch nicht aufgenommen, und man darf in dieser Be-
ziehung unbefangen sein, wenn man ihn prüft.
Unsere Leser wissen, daß wir nicht immer in der
Stimme der Rlehrheit die Stimme Gottes erkennen,
noch in der 6timme der „Gebildeten", wie man zu
sagen pflegt, der „vielunterrichteten", wie wir lieber
sagen möchten. Unsere Leser werden also auch nach-
sichtig gegen das Bekenntnis sein, daß die ästhetischen
Urteile, die in den Lrklärungen und Aiahnungen gegen
unsittliche Aunstwerke zu Tage getreten sind, uns nicht
immer mit Bewunderung erfüllt haben. Über Vieles,
4--
was hier in Bersammlungen und Zeitungen gesprochen
worden ist, scheint uns sogar eine 6atire nicht zu
schreiben sehr schwer. Aber wir dürfen nicht spotten,
wir müssen suchen, uns zu verständigen.
Da kommen wir denn den Lorderern einer strengen
staatlichen Aufsicht weit entgegen: Alles, was, jedem
Auge erkenntlich, nur unsittlicher Neizungen wegen
geboten wird, mögen sie bekämpfen überall, gleichviel,
ob es sich den Ulantel der Aunst umhängt, oder nicht.
Daß die Berliner polizei über einen Rtonat lang
Üerrn Urauts nnt den echten bslnrichtungswerkzeugen
aus der Bühne wirken ließ, mag sie mit ihrem obrig-
keitlichen Gewissen abmachen. Den Rolportageroman-
tikern möge man getrost schärfer aus die Linger sehen
— kein Rlensch wird dagegen das Geringste einwenden.
In den Leihbibliotheken sindet sich eine Lülle sittlichen
Unrats in gröbster Spekulation auf die Lüsternheit
z. B. in den pseudonymen Nomanen jenes Lhren-
Goedsche, der lange Rlitarbeiter einer unserer größten
konservativen Zeitungen war, obgleich in einem be-
rühmten jDrozesse der Staatsanwalt selber seine De-
nunziation einen Bubenstreich genannt hatte — tausende
von jungen Leuten vergiften sich noch heute an seiner
literarischen Lslnterlassenschaft. Zch empfehle auch die
Photographien der „Theater-Rünstlerinnen", und
wären sie üosballeteusen, der freundlichen Beachtung
der Gestrengen. Za, ich erlaube mir sogar, unser
schönes Ballet selber dem Auge ihrer Sittlichkeit zu
empfehlen und versichere sie, daß bei recht vielen seiner
unter dem angeregten Beifall reicher und hoher Herr-
schaften in Lsoftheatern gebotenen Leistungen kein ernst-
hafter Rlann neben den Arm- und Beinparaden auch
etwas wie Aunst erkennen kann. N)enn der obrig-
keitliche Sittlichkeitstrieb nach neuen Zagdgründen
verlangt — hier überall kommt ihm wenigstens kein
wirkliches Runstwerk ins Gehege. Lrst jenes Bexeich
geht uns näher an, wo in wahrheit Sittlichkeit und
7. Ltücll.
Lrsckctnl
Derausgeber:
Zferdinand Rvellarius.
LcskLtlprcts:
vierteljährlich 2» z Mark.
5. Zalng.
Ikunst und Dolizei
deu zahlreichen ruld lebhafteir Lrörte-
^D^^^rungen, die zu der 6treitsache Knnst und
-^MHM^ittlichkeit neuerdinas gepflogen werden, ist
ersreulich: daß es lfler noch nicht ge-
glückt ist, die Gedanken in die politische j?arteischab-
lone einzuzwängen. Denn es ist nicht wahr, daß die
Konservativen in dem Nuse uach schärserer obrigkeit-
licher Orüsung der Aunstwerke auf die 6itt!ichkeit hin
einig seien. Den Mahnrusen von 6>ynoden hat sich
z. B. in sehr entschiedener weise gerade das „Ron-
seroative wochenblatt" entgegengestellt, und der INann,
der früher einmal die Theater-Zensur auch in ihrer
schon bestehenden Lorm im „Knnstwart" bekämpfte,
ist Redakteur des amtlichen Grgans einer sehr kon-
servativen und der Geistlichkeit woblwollenden deut-
schen Negierung. Auch sind die Angehörigen der
gleichen politischen j)artei, wenn sie in dieser 6ache
vereinsweise auftreten, keineswegs einig in der wahl
des Richtungspunktes für ihren vormarsch. 60 pro-
testirte jüngst eine große antisemitische Versammlung
gegen die Ausführung von „Sodoms Lnde" als eines
gefährlichen Iudenstücks, während in einer andern
Stadt das Antisemiten-Grgan dasselbe 6tück als einen
INitstreiter gegen die Iuden begrüßte. Das also steht
wohl fest: in irgend ein jDarteiprogramm ist der Ruf
nach strengerer staatlicher Überwachung der Runst
noch nicht aufgenommen, und man darf in dieser Be-
ziehung unbefangen sein, wenn man ihn prüft.
Unsere Leser wissen, daß wir nicht immer in der
Stimme der Rlehrheit die Stimme Gottes erkennen,
noch in der 6timme der „Gebildeten", wie man zu
sagen pflegt, der „vielunterrichteten", wie wir lieber
sagen möchten. Unsere Leser werden also auch nach-
sichtig gegen das Bekenntnis sein, daß die ästhetischen
Urteile, die in den Lrklärungen und Aiahnungen gegen
unsittliche Aunstwerke zu Tage getreten sind, uns nicht
immer mit Bewunderung erfüllt haben. Über Vieles,
4--
was hier in Bersammlungen und Zeitungen gesprochen
worden ist, scheint uns sogar eine 6atire nicht zu
schreiben sehr schwer. Aber wir dürfen nicht spotten,
wir müssen suchen, uns zu verständigen.
Da kommen wir denn den Lorderern einer strengen
staatlichen Aufsicht weit entgegen: Alles, was, jedem
Auge erkenntlich, nur unsittlicher Neizungen wegen
geboten wird, mögen sie bekämpfen überall, gleichviel,
ob es sich den Ulantel der Aunst umhängt, oder nicht.
Daß die Berliner polizei über einen Rtonat lang
Üerrn Urauts nnt den echten bslnrichtungswerkzeugen
aus der Bühne wirken ließ, mag sie mit ihrem obrig-
keitlichen Gewissen abmachen. Den Rolportageroman-
tikern möge man getrost schärfer aus die Linger sehen
— kein Rlensch wird dagegen das Geringste einwenden.
In den Leihbibliotheken sindet sich eine Lülle sittlichen
Unrats in gröbster Spekulation auf die Lüsternheit
z. B. in den pseudonymen Nomanen jenes Lhren-
Goedsche, der lange Rlitarbeiter einer unserer größten
konservativen Zeitungen war, obgleich in einem be-
rühmten jDrozesse der Staatsanwalt selber seine De-
nunziation einen Bubenstreich genannt hatte — tausende
von jungen Leuten vergiften sich noch heute an seiner
literarischen Lslnterlassenschaft. Zch empfehle auch die
Photographien der „Theater-Rünstlerinnen", und
wären sie üosballeteusen, der freundlichen Beachtung
der Gestrengen. Za, ich erlaube mir sogar, unser
schönes Ballet selber dem Auge ihrer Sittlichkeit zu
empfehlen und versichere sie, daß bei recht vielen seiner
unter dem angeregten Beifall reicher und hoher Herr-
schaften in Lsoftheatern gebotenen Leistungen kein ernst-
hafter Rlann neben den Arm- und Beinparaden auch
etwas wie Aunst erkennen kann. N)enn der obrig-
keitliche Sittlichkeitstrieb nach neuen Zagdgründen
verlangt — hier überall kommt ihm wenigstens kein
wirkliches Runstwerk ins Gehege. Lrst jenes Bexeich
geht uns näher an, wo in wahrheit Sittlichkeit und