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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1892)
DOI Artikel:
Tille, Alexander: Die Bausteine der Dichtung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0148

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Lvveltes zfebruar-Dett.

10. Ltück.

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ani Anfang und in der Mitte . -x r vierteljährlich 2 t/z Mark.

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5. Zadrg.

Dte Kaustetne der Dicbtung.

(Lweiter Nutsatz.)

der Rritik der Urteilskraft unterscheidet
riant zwei Arten von Urteilen, aesthetische
Urteile und teleologische Urteile, d. h. Urteile,
die sich auf einen unmittelbaren Gefühls-
eindruck gründen, Gefühlsurteile, und solche, die auf
einer Überlegung über die Zweckmäßigkeit der Sache
beruhen, Zweckurteile. Für diese Art des Urteils sagen
wir seit Nietzsche deutlicher kVerturteil, weil es ja
thatsächlich eine wertschätzung des betreffenden Gegen-
standes ausdrückt, und das unmittelbare oder primäre
Werturteil scheiden wir von dem mittelbaren oder
sekundären. Das primäre werturteil ist der Ausdruck
unseres Begleitgefühls oder aesthetischen Gefühls, oder
die sprachliche Gbjektivirung einer bestimmten Gefühls-
qualität. Um zu dem sekundären zu gelangen, müssen
wir erst eine Schlußreihe durchmachen.

U)ie alle unsere Vorftellungen stets an ein Be-
gleitgefühl gebunden sind, eben so sind es auch die
formellen Gperationen, die wir mit Vorstellungen in
unserem Geiste vornehmen. Unser Denken, sshanta-
siren, das bewußte und unbewußte Fortspinnen von
inhaltbegabten Vorstellungen, alle diese Gperationen
haben die gleiche Ligenschaft. Unter den vielen mög-
lichen Funktionen giebt es nun aber einige, bei deren
Ausübung wir das Gefühl besonderer Sicherheit haben. ^
Ihr Rreis ist zwar nicht zu allen Zeiten gleich ge-
blieben, und sie fungiren auch nicht bei allen Menschen
der Gegenwart in gleicher weise, aber je begabter,
je geistig heroorragender ein Mensch ist, und nament-
lich je scharfsinniger, um so mehr sind sie für ihn
maßgebend, um so größer, um so lebendiger ist in
ihm das Gefühl der Sicherheit, das sie begleitet, und
um so deutlicher unterscheiden sie sich von den anderen,
bei denen dieses Gefühl sich nicht einstellt. Das
logische Denken ist dem Wenschen keineswegs an-

geboren. Auch für dies giebt es eine geschichtliche
Lntwicklung. Schlüsse, die zur Zeit der Scholastik
für durchaus logisch unanfechtbar galten, belächeln
wir heute; die griechischen j)hilosophen der besten Zeit
dachten verhältnismäßig am besten. Licero beging
zahllose Trugschlüsse, namentlich Rreisschlüsse, Spinoza,
Rant so gut wie Nietzsche begingen logische Fehler,
und noch heute giebt es niemand, der im Besitze der
absoluten Logik wäre. Aber im Ganzen ist ein Fort-
schritt nicht zu verkennen. wir denken heute logischer,
als das Ntittelalter, als die Lophisten dachten, und
prüfen unsere Voraussetzungen strenger, als Aristoteles
es mit den seinen that.

Lediglich auf diesem Gefühle beruht die Sicherheit,
mit der wir uns auf unser logisches Denken verlassen.
Und logisches Denken hat vor dem geistreichen oder
phantastischen Fortspinnen des Gedankens nichts, als
eben dieses merkwürdige Begleitgesühl der Ächerheit,
voraus. Ls hat sich gezeigt, daß wir mit Hilfe dieses
Denkens, mit Lsilfe der Sätze von Grund und
Folge, wirkung und Ursache, selbst Dinge im
weltall „erraten" können, die wir nicht wissen, daß
der Astronom aus der Bewegung von Sternen sagen
kann, daß da und dort an einer bestimmten Stelle
ein Stern stehen muß, den er niemals zuvor gesehen
hat und den doch später das suchsnde Fernrohr wirk-
lich sindet. Die Gesetze unseres Denkens scheinen also
mit den Abstraktionen, die wir als kosmische Gesetze
bezeichnen, übereinzustimmen.

Dieses Gefühl der Sicherheit, das wir bei solch
einem logischen Vorgange in uns empfinden, ist ein
primäres Begleitgefühl, also ein einfacher aesthetischer
wert. Ls ist also leicht klar, was in dieser Lsinsicht
den j)hilosophen vom Dichter scheidet. Der letztere
operirt mit vorstellungen, welche aesthetische werte für
 
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