Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1892)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl: Das Geistreiche
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0196

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Lrstes NprLl-Dett.

/

IZ.Stück.

Lrscbeint

Derausgeber:

zferdinand NvenarLus.

KcstellprLts; !

vierteljährlich 2 1/z Mark. Z,

Anzeigen: 3 gesp. Nonp.-Aeile 40 pf. -—-—

^^»^i^ie es reiil künstlerische Naturen giebt,
so giebt es auch rein intellektuelle
Naturen. Es liegt nabe, solche personen
frei von tiefgehenden und eigenartigen
t6esühlen sich vorzustellen. Das Wort „intellektuell"
versührt dazu, aber mit Uurecht. Solche Naturen
empfinden über logische widersprüche, fehlerhafte
Schlüsse, Verworrenheit der Gedanken oder Niangel
an Zusammenhang keine geringere Pein, als musi-
kalische Nlenschen über schrille Mißklänge und falsche
Töne. Nlan übersieht leicht, daß auch dort, wo es
sich um abstrakte vorstelluugen und Gedanken handelt,
Gefühle auftreten — „intellektuelle Gefühle", wie
sie die ps-schologie benenut. Gs giebt eine Freude an
den neuen wissenschaftlichen Thatsachen und Ent-
deckungen selbst; aber auch eine Freude an der
Art, wie uns jene neuen Lrkenntnisse vermittelt
werden. Und diese Freude ist die ^umme jener
intellektuellen Lustgefühle, di'e den vorgang des
Denkens und Trkennens begleiten. Sie sind den
aesthetischen Gefühlen nahe verwandt und stehen ihnen
häufig an ^tärke nicht nach; ja vielfach ist wohl die
schulmäßige Uuterscheidung von intellektuellen und
aesthetischen Gefühlen überhaupt rein äußerlich
den zu Grunde liegenden vorstellungen aber nicht
der Gefühlsweise selbst entlehnt. wollte Iemand die
Freude am Formalen, am architektonischen Aufbau
und der fimunetrischen Gliederung des Stoffes bei
rein wissenschaftlichen und sehr abstrakten Gedanken-
gängen (z. B. in, Rants vernunftkritik) oder die
Freude des Mathematikers an der „Gleganz" der
Lösung einer Aufgabe „ aesthetische " Freuden
nennen, so wüßte ich nicht, was gegen eine solche
Bezeichnung einzuwenden wäre. Mie beim Runst-
werk, so wirkt auch beim Gedankenwerk Lsarmonie
und Symmetrie lustvoll, uud der Reiz, den eine
blendende gedankliche Antithese ausübt, beruht auf

demselben Gesetz des Rontrastes, das z. B. in der
bildenden Kunst oder der poesie in wirksamkeit steht.

Am lebhaftesten sind die hier in Frage kommen-
den Gefühle, wenn der Vorgang des Denkens, Tr-
kennens, „Legreifens" schnell und blitzartig erhellend
sich vollzieht: beim „Schlagenden", „Treffenden",
„witzigen",— „Geistreichen ". Ls ist ein seltsames
Gefühl, das uns beim Anhören geistreicher worte
überkommt: ein prickelndes Behagen geistigen wohl-
geschmacßs, ein lustiges Gefühl von Ueberlegenheit
und geistiger Freiheit. Ts wäre vergebliche Niühe,
dieses Gefühl zergliedern und in einfache Bestand-
teile auflösen zu wolleu. wohl aber läßt sich un-
gefähr angeben, was objektiv dem gemeinsam ist,
was wir als geistreich empfinden.

Nur ein Trzeugnis menschlicher Gedankenthätig-
keit kann als geistreich bezeichnet werden. Thatsachen
und Treignisse sind oft sehr interessant, aber geist-
reich sind Linfälle, vergleiche, Urteile, Ideen. Ts
ist nicht geistreich, daß die Trde rund ist. So lange
aber die Trde als Scheibe galt, erschien die Lsypo-
these von der runden Gestalt der Grde offenbar
sehr geistreich.

Nun besteht aber das Denken, insbesondere das,
was die Logiker „Urteilen" nennen, darin, daß Begriffe
mit einander in Beziehung gesetzt werden. Und da-
mit ein Urteil geistreich sei, müssen vor Allem drei
Bedingungen erfüllt sein. <

Trstens muß die hergestellte Beziehung zwischen
den in Frage kommenden Begriffen durchaus ueu
uud ungewohnt sein. Zweitens müssen die Be-
griffe, die mit einander in Beziehung gesetzt werden,
möglichst disparat und zusammenhangslos
erscheinen. Drittens endlich muß das Aufdeckeu der
Beziehung mit einer gewissen verblüffenden plötz-
lichkeit erfolgen.

Biedere Alltagswahrheiten, selbstverständliche

Das Geistreicke.

— ISS —
 
Annotationen