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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1892)
DOI Artikel:
Hartmann, Ludwig: Der Unterstützungswohnsitz des Kunstwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0212

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Lveikes Nprtl-Dekk ISS2.

14. Stück.

Lrscbetnt

Iberausgeber:

zferdinrmd Rvenarius.

Kcsrellprets:
Vierteljährlich 2 k/2 Nlark.

5. Zabrg.

Der Anterstützungsvvodnsitz des Ikunstiverks.


0, verehrte Leser, der Titel stände glücklich
da, und er war wirklich nicht leicht zu
fiudeu. Deuu diesmal sollten eiuige sich
fernliegeude Bemerkungeu unter eiueu Titel
gebracht werden. Lin Zeituugsaufsatz ohne Titel ist
uumöglich. Selbst ein bsofrat, wenu mau ihm den
Titel uimmt, bleibt gewissermasseu eiu Mensch. Aber
eiu Zeitungsaufsatz ohne Titel ist uudenkbar. Seieu
wir froh, daß wir den Titel haben.

Allerdings, „Nuterstützungswohnsitz" ist eiu bvort,
das mau sich von sozialpolitischeu Aufsätzeu, voü der
Statistik, vom Stadtverordneteusaale borgen muß. Aber
wir möchteu oder besser wir müsseu das U)ort ein-
mal auf das Aunstwerk anwenden. Neue worte
machen soll man nicht, — versucheu wir alte kVorte
ueu zu deuten.

llcher, wo der „Aunstwart" erscheint, iu Dresden,
tauchte kürzlich an verschiedenen Stelleu eiue Notiz
auf, wie fie ähnlich an andereu Grteu häufiger und
häusiger auftauchen: das köuigliche bsoftheater habe
sich iu letzter Zeit der j)flicht löblich erinnert, die
heimischeu Autoren zu bevorzugen. wir
hoffen, daß das nicht wahr ist. Liu Lsoftheater hat
die pflicht, gute werke zu bevorzugen. Mb sie
von Ifinz oder Auuz, ob sie iu Dresden, Berliu oder
posemuckel entstanden sind, ist gauz gleich. Die
Notiz vou der Bevorzuguug heimischer Autoreu war
eben — ein Wunsch, und zwar der „heimischen
Autoren" selbst. Die Notiz war, wie der techuische
Ausdruck lautet, „lanzirt" wordeu. Sie war eiu
ballou ck'essaio, eiu versuch Wetter zu machen. Aber
immerhiu gilt es aufzupassen.

Ts fehlte gerade, daß uusere großen Auustiustitute
aufgemacht würden, um die kleiuen Talentchen hereiu-
zulassen, womöglich unter Anrufung des Uuter-
stützungswohnsitzes solche Geister, die „auswärts" achsel-
zuckend abgelehnt wordeu siud. Tin großes Theater hat

uicht die Aufgabe, zum Spital für schwächliche
2lutoren zu dieuen. >Ls soll gar nichts mit personeu-
kulteu zu schaffen haben. Seine Zeit, seine Rräfte
und seiu Geld sind so wertvoll, daß mau sie uicht
aus Gefälligkeit au die Zmpotenteu weudeu darf,
bloß weil diese „bfiesige" siud. Rleiuere Bühnen
dürfen erperimentiren; große uicht. Beim ^iuweis
auf die Novitäteuleistungen des kleiuen Weimar oder
Abeiuingen oder Gotha muß mau eingedenk der
kleiueru Ausxrüche sein, die mau dort macht. So
weit will mau gewiß uicht gehen, zu sagen: Meimar
spiele unter Ausschluß der Offeutlichkeit Theater. Aber
in der That: leichter hat es dort die Bühue, die mit
eiuer „jDresse" gar nicht, kaum nüt „publikum" zu
rechneu hat, souderu uugestraft ideologische Ziele ver-
folgeu kann.

Zu der Großstadt fällt Alles eher auf und wird
leicht zum reichsdeutscheu oder gar mitteleuropäischeu
Treiguis. Fehlgriffe, die dort unvermerkt vorübergehen,
wirken hier kompromittirend und schaden auf die
Dauer. Natürlich kaun eiu Aunstwerk vollwertig seiu,
trotzdem es eiuen heimischen Verfasser hat. Aber dauu
ist es vollwertig nicht, „weil" der Maun „von hier"
ist. Ls wäre der Nuiu eines großeu freischaffendeu
Theaters, wollte es das Recht des Unterstützuugs-
wohusitzes alleu möglichen Dichterlingeu zuweuden,
die um s)rotektiou zu bettelu kommen, nüt der be-
denklichen Begrüudung: „deuu ich wohne ja hier!"

Gegeu die zudriugliche Gegenseits-Lobversicherungs-
Gesellschaft dramatischer Autoreu sind diese Zeileu ge-
richtet, wobei es sehr gleichgiltig ist, wieviel au-
maßeude s)rivatinteresseu man danüt beeinträchtigt.
Gegeu tüchtige Werke richtet sich uuser Tiuspruch
natürlich uicht. Felir Draeseke z. B. hat es erfahren,
daß wir seiu Taleut, seiu Genie, uicht nach dem
Lseimatschein gefragt haben. Tr lebt zufällig „hier",
weiter uichts. Gat er, Draeseke, oder wir, gelteud

(s'
 
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