Lrstes 3unt-Dett 1892.
II.StÜcK.
Lrscbcint
Derausgeber:
zferdtnand Nvennrtus.
Kesrellprets;
vierteljäbrlich 2 >/z Mark.
Nutgaben der
?^2LV)^>nter dem Titel unserer Überschrift hat Georg
bsirth in INünchen im vorigen Zahre ein
umfangreiches Buch veröffentlichh das als
eine wertvolle Ergänzung und wissenschaft-
liche Begründung seiner bisherigen kunsttheoretischen
Schriften, insbesondere seiner Ideen über Zeichen-
unterricht und künstlerische Berufsbildung, zu gelten
hat. Der um Runst und Runstgewerbe gleich
verdiente Verfasser ist ja nicht der erste, der Runst
und physiologie in ihren gegenseitigen Beziehungen
darlegt. Aber in so umfassender und zielbewußter
weise sind die Thatsachen der physiologischen Lr-
kenntnis des Sehens noch von keinem seiner vor-
gänger aus die Runst angewendet worden. Dabei
beschränkt sich Lsirth keineswegs aus die Lrgebnisse
der Forschungen anderer, die er vermöge seiner um-
fassenden Renntnis der einschlägigen Literatur voll-
ständig beherrscht; er ergänzt sie vielmehr durch eine
Fülle neuer eigener Beobachtungen. Aus diese ein-
zugehen ist in dieser Zeitschrist ebensowenig der j)latz
wie zu einer Rritik seiner voraussetzungen auf phy-
siologischer Grundlage — es ist Aufgabe der philo-
sophischen und naturwissenschaftlichen Fachblätter, eine
solche zu leisten. wohl aber dürfte der „Runstwart"
verpflichtet sein, seine Leser über die wichtigeren
Theorien der Runftwissenschaft wenigstens soweit zu
unterrichten, daß sie ihr Gewohnheitsbild vom Stande
der deutschen Ästhetik nach neuen Lrscheinungen ver-
ändern und, wo es ihnen erwünscht ist, die betreffende
Literatur näher nachprüfen können.
Zweck des Lsirthschen Buches ist zu beweisen,
daß wirklich die Ausübung der bildenden Rünste, so-
wie dieRunstkennerschast auf einer psycho-physischen
Grganisation beruhen, welche, einmal erworben,
bleibend sei und jeder Neuerwerbung wiederum
ihr Gepräge ausdrücke. Nietaphysische Spekulationen
hält der verfasser für wertlos; mit Helmholtz glaubt
Ikunstpbpsiologie.
er, daß jeder metaphysische Schluß entweder ein Trug-
schluß oder em versteckter Trsahrungsschluß sei; er
will — das ist Runstphysiologie — die sür die bil-
denden Rünste und ihre Rritik, für das künstlerische
Schaffen und den guten Geschmack in Betracht kom-
menden Negeln — soweit thunlich — aus der Natur
der menschlichen Sinne und Seelenkräfte erklären.
Alle Runst ist für Lsüch nach 8enecas Ausspruch, der
aus dem Titelblatte seines Buches steht, Nachahmung
der Natur; den Begriffdes spezifisch Rünst-
lerischen schöpft er lediglich aus den intellek-
tuellen Beziehungen des Rünstlers zur
realen Natur. Unter spezifisch künstlerischer Ge-
staltungskraft versteht er — im Gegensatze zu wundt
-- „nur das, was der bildende Rünstler (Zeichner,
Nlaler, Modelleur usw.) vor seinen wlitmenschen
voraus hat, nämlich die Fähigkeit und Fertigkeit,
die in der j)hantasie erstehenden, direkt der wirk-
lichkeit entnommenen oder frei erfundenen bildlichen
Anschauungen zu neuen wirklichen Bildern zu ver-
dichten, — mit einem worte: das Rönnen." Das
visionäre, die Fähigkeit, sich künstlerische vorwürfe in
der j)hantasie zurecht zu machen, ist mehr oder minder
Gemeingut aller lebhaften, gebildeten Nlenschen, das
spezisisch künstlerische Zngenium aber ist, wie die
Aussprüche der großen Rünstler aller Zeiten bestätigen,
eine wesentlich kritische, also eine verstandesthätigkeil.
Durch seine Thätigkeit erreicht der Rünstler eine be-
sondere Schulung in den bildlichen Anschauungen' der
s)hantasie; diese 8-chulung wird vorwiegend kritisch
sein, in dem er alles Überschwängliche, Nnrealisir-
bare, Unbrauchbare verbannt und die phantastischen
Gebilde in die Richtung des individuellen Rönnens
leitet, während gerade der Nichtkünstler seiner j)han-
tasie keine Zügel anzulegen braucht. 8eine weitere
Arbeit aber war nie etwas anderes, als ein sorgsames
Berechnen und Abwägen der technischen Ulittel,
II.StÜcK.
Lrscbcint
Derausgeber:
zferdtnand Nvennrtus.
Kesrellprets;
vierteljäbrlich 2 >/z Mark.
Nutgaben der
?^2LV)^>nter dem Titel unserer Überschrift hat Georg
bsirth in INünchen im vorigen Zahre ein
umfangreiches Buch veröffentlichh das als
eine wertvolle Ergänzung und wissenschaft-
liche Begründung seiner bisherigen kunsttheoretischen
Schriften, insbesondere seiner Ideen über Zeichen-
unterricht und künstlerische Berufsbildung, zu gelten
hat. Der um Runst und Runstgewerbe gleich
verdiente Verfasser ist ja nicht der erste, der Runst
und physiologie in ihren gegenseitigen Beziehungen
darlegt. Aber in so umfassender und zielbewußter
weise sind die Thatsachen der physiologischen Lr-
kenntnis des Sehens noch von keinem seiner vor-
gänger aus die Runst angewendet worden. Dabei
beschränkt sich Lsirth keineswegs aus die Lrgebnisse
der Forschungen anderer, die er vermöge seiner um-
fassenden Renntnis der einschlägigen Literatur voll-
ständig beherrscht; er ergänzt sie vielmehr durch eine
Fülle neuer eigener Beobachtungen. Aus diese ein-
zugehen ist in dieser Zeitschrist ebensowenig der j)latz
wie zu einer Rritik seiner voraussetzungen auf phy-
siologischer Grundlage — es ist Aufgabe der philo-
sophischen und naturwissenschaftlichen Fachblätter, eine
solche zu leisten. wohl aber dürfte der „Runstwart"
verpflichtet sein, seine Leser über die wichtigeren
Theorien der Runftwissenschaft wenigstens soweit zu
unterrichten, daß sie ihr Gewohnheitsbild vom Stande
der deutschen Ästhetik nach neuen Lrscheinungen ver-
ändern und, wo es ihnen erwünscht ist, die betreffende
Literatur näher nachprüfen können.
Zweck des Lsirthschen Buches ist zu beweisen,
daß wirklich die Ausübung der bildenden Rünste, so-
wie dieRunstkennerschast auf einer psycho-physischen
Grganisation beruhen, welche, einmal erworben,
bleibend sei und jeder Neuerwerbung wiederum
ihr Gepräge ausdrücke. Nietaphysische Spekulationen
hält der verfasser für wertlos; mit Helmholtz glaubt
Ikunstpbpsiologie.
er, daß jeder metaphysische Schluß entweder ein Trug-
schluß oder em versteckter Trsahrungsschluß sei; er
will — das ist Runstphysiologie — die sür die bil-
denden Rünste und ihre Rritik, für das künstlerische
Schaffen und den guten Geschmack in Betracht kom-
menden Negeln — soweit thunlich — aus der Natur
der menschlichen Sinne und Seelenkräfte erklären.
Alle Runst ist für Lsüch nach 8enecas Ausspruch, der
aus dem Titelblatte seines Buches steht, Nachahmung
der Natur; den Begriffdes spezifisch Rünst-
lerischen schöpft er lediglich aus den intellek-
tuellen Beziehungen des Rünstlers zur
realen Natur. Unter spezifisch künstlerischer Ge-
staltungskraft versteht er — im Gegensatze zu wundt
-- „nur das, was der bildende Rünstler (Zeichner,
Nlaler, Modelleur usw.) vor seinen wlitmenschen
voraus hat, nämlich die Fähigkeit und Fertigkeit,
die in der j)hantasie erstehenden, direkt der wirk-
lichkeit entnommenen oder frei erfundenen bildlichen
Anschauungen zu neuen wirklichen Bildern zu ver-
dichten, — mit einem worte: das Rönnen." Das
visionäre, die Fähigkeit, sich künstlerische vorwürfe in
der j)hantasie zurecht zu machen, ist mehr oder minder
Gemeingut aller lebhaften, gebildeten Nlenschen, das
spezisisch künstlerische Zngenium aber ist, wie die
Aussprüche der großen Rünstler aller Zeiten bestätigen,
eine wesentlich kritische, also eine verstandesthätigkeil.
Durch seine Thätigkeit erreicht der Rünstler eine be-
sondere Schulung in den bildlichen Anschauungen' der
s)hantasie; diese 8-chulung wird vorwiegend kritisch
sein, in dem er alles Überschwängliche, Nnrealisir-
bare, Unbrauchbare verbannt und die phantastischen
Gebilde in die Richtung des individuellen Rönnens
leitet, während gerade der Nichtkünstler seiner j)han-
tasie keine Zügel anzulegen braucht. 8eine weitere
Arbeit aber war nie etwas anderes, als ein sorgsames
Berechnen und Abwägen der technischen Ulittel,