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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

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Heft 19 (1. Juliheft 1892)
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Czechische Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0293

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Smetana- zweiter Oper, der „verkauften Braut",
war seine verwandtschaft mit dem Geiste dieser Volks-
musik uoch bestimmter ausgeprägt und mit dem ganzen
Zauber der Neuheit auf diesem Gebiete trat sie vor
den i?erstehenden zu Tage. Selbstverständlich waren
deren zunächst noch nicht viele, wie das sa bei keinem
Aunstwerk von vorgreifender Bedeutung der Fall sein
kann, nach und nach aber saßte das werk doch Luß.
Und um so fester, als darin alle Beiten von Smetanas
künstlerischer Ligenart sich abspiegeln, ganz besonders
auch seiue Runst, vortrefflich zu charakterisiren.

Dem bahnbrechenden wirken Nichard wagners
stand Smetana nicht verständnislos gegenüber, aber
er behielt im Ganzen doch die alte Opernsorm bei
und verwendete nur in einer etwas an wagner er-
innernden weise verschiedene öfter wiederkehrende
Themen. vortrefflich hat er die Singftimmen be-
handelt; charakteristisch und schön ist auch sein instru-
mentales Rolorit. Aber selbst, als er auf der ^öhe
der Musikentwickelung seiner Zeit stand, verlor er
nicht seine enge Fühlung mit dem böhmischen volks-
liede; das lag bei ihm in der Natur seiner Begabung,
das war gewissermaßen in der Blutsverwandschaft
seiner musikalischen Lmpsindungsweise mit dem volks-
tone begründet. Smetana schuf rüstig weiter: es
folgten die große Oper „Dalibor" und dann noch
fünf andere größere und kleinere Opern in rascher
Folge, bis der Romponist im Zahre t884k im wahn-
sinn endete.

Ls liegen uns Berichte über vier bis setzt in
wien zur Aufführung gekommene czechische Opern
vor. Attt der „verkausten Braut" von Smetana,
deren einsacher Ltoff dem Dolksleben entnommen ist,
wurde das wiener Gastspiel der Böhmen eröffnet.
„Die Musik ist durchweg in edler, idealisirender Form
gehalten", sagt darüber der verständnisvolle Rritiker
des „Deutschen volksblattes", „und erinnert in
manchem an die weise Liszts. was die »verkauste
Braut« dem Verständnisse des j)ublikums näher brachte,
war ihre an die Traditionen der älteren Oper, wenn
auch in deren intelligentester Art, anknüpfende Form.
Smetana wußte, daß er dem s)ublikum eines jungen
Theaters, das in seinem Nepertoir noch kein Werk
besaß, an dem es die modernen Nesormbestrebunngen
auf dem Gebiete der dramatischen Nlusik und deren
Lrsolge hätte vorweisen können, nicht gleich im Be-
ginne seiner dramatischen Laufbahn ein Niusikdrama
in optimu formu bringen durfte. Denn er sand in
seiner Heimat den Boden sür ein sortschrittliches
Nunstschaffen durchaus nicht schon vorbereitet, er selbst
mußte sich ihn ebnen, und das nicht ohne Nlühe,
nicht ohne Rampf. Smetana errang sich die volle
Anerkennung ohne die bsilse irgendwelcher Nezensenten
und Skribenten, einzig durch sein außerordentliches
Talent."

von Smetana wurde in wien serner die Oper
„Dalibor" ausgesührt. Daneben gab man die Oper
„Dimitrij" von Anton Dvorschak, dem bei uns am
meisten zur Anerkennung gelangten böhmischen Nom-
xonisten, der bekanntlich stark unter Brahmsschem
Linflusse steht. Auch Dvorschak erfreute sich der För-
derung Franz Liszts. Der Schwerpunkt seiner Be-
gabung liegt entschieden im Znstrumentalen. Tr schrieb
neben verschiedenen Opern, Liedern, Duetten und

größeren Vokalwerken eine Anzahl von Rlavier-
kompositionen, Rainmerirmsik- und Orchesterwerke, von
denen bei uns ganz besonders seine slavischen Tänze
für Nlavier szu vier ^änden), seine slavischen Nhap-
sodien für Orchester und eine Serenade sür Blas-
instrumente allgemeine Anerkennung unter den Fach-
leuten gefunden haben. <Ls ist jedoch nicht zu leugnen,
daß Dvorschaks böhmische Nhythmen und Ntelodien
manchmal einen etwas reflektirten Lindruck machen
und auch stellenweise ans Banale streifen. Der Text
der Oper „Dimitrij" behandelt im Anschlusse an
Schillers Lntwurf die bekannte Usurpation des
russischen Naiserthrones durch den falschen Dimitrij.
Lin dritter, bei uns noch so gut wie unbekannter,
jüngerer czechischer Romponist, Zdenko Fibich, der
mehr noch als Dvorschak für die Gper beanlagt ist und
bei seinen Landsleuten als der eigentliche Lrbe
Smetanas gefeiert wird, ein begeisterter Anhänger
und Nachstrebender Nichard Wagners, war bei dem
Gastspiele mit einem Nlusikdrama ,,j)elops' Braut-
werbung" vertreten, das den ersten Teil eines groß-
angelegten zyklischen werkes, „Hippodamia" betitelt,
bildet.

Nicht ohne wert dürste es für unsere Leser sein,
das Urteil eines geschätzten deutschen Uomponisten, N.
i^eubergers, über die czechischen Opernaufführungen
zu hören. „Die von j)rag hergekommene gewaltige
woge slavischer Nlusik", so schrieb er aus wien,
„wird nicht wirkungslos an unserem Uunstleben vor-
übergehen. Die czechische Oper hat sich mit drei

hochbedeutenden werken eingestellt und damit den
Beweis erbracht, sowohl, daß es eine produkrioe

böhmische Runst giebt, wie auch, daß die Art der
lebendigen wiedergabe aus einer hohen Ltufe steht.
Lange vokalensembles, wie z. B. das Sextett in der
»verkauften Brautr, hört man nur äußerst selten in
solcher vollendung, wie bei der czechischen Theater-
gesellschaft. Die vorzüge erstrecken sich nicht blos

aus die Lolisten, sondern auch aus den, außerdem

noch sehr klangschönen, Thor. Neine Lpur von der
mundsaulen, tonmacherischen Art unserer Sänger.
Nennen wir noch das Orchester (das über glänzende,
temperamentvolle Geigen und ausgezeichnete Lsolz-
bläser versügt) eines der besten, die es überhaupt
giebt, so haben wir viel des Lobes, aber doch kein
wort mehr als die wahrheit gesagt."

„Bis nach Finnland hinauf", schreibt unser Nttt-
arbeiter L. ^artmann in der „Dresdner Ztg.", „bis
nach Finnland, dessen Dolkslieder aber skandinavisch-
germanisch, nicht slavisch, sind und dessen weisen so
ties ergreisen, geht bis nach Lüdrußland, bis zur Arim,
ein völkerstreisen von ganz außerordentlicher Musik-
begabung. Dvorschaks slavische Tänze und eine Fülle
von Liedern aus Rrain, Galizien, Nleinrußland, Serbien,
Litthauen, j)olen usw. fällt unter den Gesichtspunkt
slavischer Nlusik, wenn auch die völker keine Llaven
sind. Lelbst die ungarische, durch Liszt, Zoachim,
Brahms weitverbreitete Ntusik ist in gewissem Sinne
slavisch.

Diese völkerschaften stehen in der westländischen
Nultur politisch schlecht angeschrieben. Aber sie bergen
Schätze von Reimen sür eine künftige neue Niusik-
entwicklung. Der westen ist müde, er hat sich über-
lebt. vom Osten aber, von den Slaven, dringt ein

- 2Sö —
 
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