Lrstes August-Dett 1692.
21. Stück.
Lrscbetnt
Derausgeber:
zferdtnaud Aveuurtus.
Kesrellpreis:
vierteljährlich 2'/z Mark. Z.
Anzeigen: 3 gesp. Nonp.-Zeile HO ssf. -—
.Ikrunstgesung"
(Lrster
>u den besonders deutlichen Symptomeu der
vielbeklagten materialistischen vergröberung
des Gefühlslebeus als Folgeerscheiuung der
einseitigen Verstandesbildung, die unser Zeit-
alter kennzeichnet, ist auch der gegenwärtig so trostlose
Zustand des volksgesauges zu zählen.
Ls ist thatsächlich dahin gekommeu, uud man hat
Gelegenheit genug, es zu beobachten, daß wir Deutschen,
das musikalischste volk der welt, unsere altberühmte
Sangestüchtigkeit und Sangesfreudigkeit heute beinahe
eingebüßt haben. Das Ningen nach durchgreisender
Neugestaltung unsrer verhältnisse einerseits, der Ramps
um Lrhaltung des Alten gegen neuauftauchende soziale
wlächte anderseits haben auch unsere Volkssitten, unsere
volksgebräuche, wie sie sich zum guten Teile in den
volksfesten äußerten, vollständig verändert. Auf den
volksfesten aber, den Nichtfesten, den Rirchweih-, den
Zahrmarkts-, den Lrntefesten usw., gedieh vor allem
der volksgesang, denFeierabend- und 6>piunstubenpoesie,
die fa ebenfalls in unsrer Zeit der sozialen Nmwälzungen
mehr und mehr zu Grunde gehen, weiter nährten und
verbreiteten.
Tobredner der alten Zeit zu werden, halten wir
trotz der wehmütigen Gefühle, mit denen wir auf diese
Lntwickelung sehen, nicht für unsere Sache, noch würden
wir so weit gegen den 6trom schwimmen wollen und
uns der Lsoffnung hingeben, daß wir auch nur hin-
sichtlich des volksgesanges genau die alten verhältnisse
wieder erreichen köunten. Der volksgesang an sich kanu
von sehr verschiedener Art sein, aber einen volks-
gesang muß es geben, wenn nicht dem volke für
einen Teil seines besten Lmpfindens sozusageu die
6prache genominen werden soll. Und deshalb ist es
geboten, einzugreifen iu den Gang dieser Dinge. Wir
müssen das Unsere thun, daß der volksgesang ge-
kräftigt werde, wo er noch wach, wieder erweckt werde,
wo er schon eingeschlafen ist.
und Volksgesang.
Aufsatz.)
Maren es zwei verbündete der sozialeu Lntwicklung,
von der wir sprachen, waren es nur ihre gleichsam
sichtbar gewordenen vertreter — gleichviel, wir können
vom Niedergange des volksgesanges nicht reden, ohne
auf die Nlännergesangvereine und den Ge-
sangsuuterricht in den Schulen gewiesen zu
werden.
Sprechen wir zunächst von den Ulännergesang-
vereinen. Damit, daß man sich über sie lustig macht
und sie und die geschmacklosen, widerwärtigen modischeu
Ulännerchorkompositioneu, die in den meisten Fälleu
ihr 6tolz sind, bespöttelt und den Ropf schüttelt z. B.
über die berühmten Lsa-Ha-Ha- oder La-la-la-Begleit-
stimmen, über die häufig darin angebrachten gefühl-
vollen Barytonsolostellen, die meistens ganz sinnlosen
dynamischen Schattirungen, die im Umkreis von emigen
Takteu abwechseln mit schier erschröcklichem Berserker-
gebrüll und fast beweglichem Gelispel und Gesäusel voller
Gemüts — damit allein ist an der 6ache noch
nichts gebessert.
Das Ulesser müßte an die rechte Stelle gesetzt
werden: die ganze sämmerliche Fadheit, die inuere
musikalische Unwahrheit uud verkehrtheit des „Ruust-
gesanges", wie diese Lrzeugnisse des Ungeschmacks
im Gegensatze zum volksgesang benanut werden, muß
endlich dem volke deutlich zum Bewußtsein gebracht
werden. Das könnte nur mittelbar geschehen, aller-
dings durch eiu Utittel vou sicherer Mirkung: Gebt
dem volke den volksgesang wieder! Gelingt es, das
Ghr des volkes zu schulen, so daß es den Rlang des
echten Goldes in seinen Volksliedern erkeunt, so wird
es bald die Ulünzen des „Ruustgesanges" auch auf
diesen Rlang hin prüfen, uud der gesunde volksinstinkt
dürfte schuell erkennen, ob sie edelu Uletalles sind oder
nicht.
Bald, nachdem Naegeli, der um die Ulusikpflege
in der Schweiz so hochverdieute Ulann, die Ulänner-
21. Stück.
Lrscbetnt
Derausgeber:
zferdtnaud Aveuurtus.
Kesrellpreis:
vierteljährlich 2'/z Mark. Z.
Anzeigen: 3 gesp. Nonp.-Zeile HO ssf. -—
.Ikrunstgesung"
(Lrster
>u den besonders deutlichen Symptomeu der
vielbeklagten materialistischen vergröberung
des Gefühlslebeus als Folgeerscheiuung der
einseitigen Verstandesbildung, die unser Zeit-
alter kennzeichnet, ist auch der gegenwärtig so trostlose
Zustand des volksgesauges zu zählen.
Ls ist thatsächlich dahin gekommeu, uud man hat
Gelegenheit genug, es zu beobachten, daß wir Deutschen,
das musikalischste volk der welt, unsere altberühmte
Sangestüchtigkeit und Sangesfreudigkeit heute beinahe
eingebüßt haben. Das Ningen nach durchgreisender
Neugestaltung unsrer verhältnisse einerseits, der Ramps
um Lrhaltung des Alten gegen neuauftauchende soziale
wlächte anderseits haben auch unsere Volkssitten, unsere
volksgebräuche, wie sie sich zum guten Teile in den
volksfesten äußerten, vollständig verändert. Auf den
volksfesten aber, den Nichtfesten, den Rirchweih-, den
Zahrmarkts-, den Lrntefesten usw., gedieh vor allem
der volksgesang, denFeierabend- und 6>piunstubenpoesie,
die fa ebenfalls in unsrer Zeit der sozialen Nmwälzungen
mehr und mehr zu Grunde gehen, weiter nährten und
verbreiteten.
Tobredner der alten Zeit zu werden, halten wir
trotz der wehmütigen Gefühle, mit denen wir auf diese
Lntwickelung sehen, nicht für unsere Sache, noch würden
wir so weit gegen den 6trom schwimmen wollen und
uns der Lsoffnung hingeben, daß wir auch nur hin-
sichtlich des volksgesanges genau die alten verhältnisse
wieder erreichen köunten. Der volksgesang an sich kanu
von sehr verschiedener Art sein, aber einen volks-
gesang muß es geben, wenn nicht dem volke für
einen Teil seines besten Lmpfindens sozusageu die
6prache genominen werden soll. Und deshalb ist es
geboten, einzugreifen iu den Gang dieser Dinge. Wir
müssen das Unsere thun, daß der volksgesang ge-
kräftigt werde, wo er noch wach, wieder erweckt werde,
wo er schon eingeschlafen ist.
und Volksgesang.
Aufsatz.)
Maren es zwei verbündete der sozialeu Lntwicklung,
von der wir sprachen, waren es nur ihre gleichsam
sichtbar gewordenen vertreter — gleichviel, wir können
vom Niedergange des volksgesanges nicht reden, ohne
auf die Nlännergesangvereine und den Ge-
sangsuuterricht in den Schulen gewiesen zu
werden.
Sprechen wir zunächst von den Ulännergesang-
vereinen. Damit, daß man sich über sie lustig macht
und sie und die geschmacklosen, widerwärtigen modischeu
Ulännerchorkompositioneu, die in den meisten Fälleu
ihr 6tolz sind, bespöttelt und den Ropf schüttelt z. B.
über die berühmten Lsa-Ha-Ha- oder La-la-la-Begleit-
stimmen, über die häufig darin angebrachten gefühl-
vollen Barytonsolostellen, die meistens ganz sinnlosen
dynamischen Schattirungen, die im Umkreis von emigen
Takteu abwechseln mit schier erschröcklichem Berserker-
gebrüll und fast beweglichem Gelispel und Gesäusel voller
Gemüts — damit allein ist an der 6ache noch
nichts gebessert.
Das Ulesser müßte an die rechte Stelle gesetzt
werden: die ganze sämmerliche Fadheit, die inuere
musikalische Unwahrheit uud verkehrtheit des „Ruust-
gesanges", wie diese Lrzeugnisse des Ungeschmacks
im Gegensatze zum volksgesang benanut werden, muß
endlich dem volke deutlich zum Bewußtsein gebracht
werden. Das könnte nur mittelbar geschehen, aller-
dings durch eiu Utittel vou sicherer Mirkung: Gebt
dem volke den volksgesang wieder! Gelingt es, das
Ghr des volkes zu schulen, so daß es den Rlang des
echten Goldes in seinen Volksliedern erkeunt, so wird
es bald die Ulünzen des „Ruustgesanges" auch auf
diesen Rlang hin prüfen, uud der gesunde volksinstinkt
dürfte schuell erkennen, ob sie edelu Uletalles sind oder
nicht.
Bald, nachdem Naegeli, der um die Ulusikpflege
in der Schweiz so hochverdieute Ulann, die Ulänner-