Lvvettes August-Derr rss2.
22. Stück.
Lrscbetnt
am Anfang und >n der Mitte
Derausgeber:
zferdiuaud Aveuarius.
Kesrellprets:
vierteljährlich 2 t/z Mark.
5. Zakra.
„Ikunstgesang" und Volksgesang.
(Zweiter Aufsatf.)
^^»^W>ie also ließe sich wohl eine Lrneuerung
volksgesanges — des volksgesanges
in unserem Sinne — denken?
Fassen wir die Mittel und wege schärfer
in's Auge, die etwa benützt und begangen werden
könnten, um in die Nähe unserer Ziele zu sühren,
so sehen wir doch recht bald, was vor allem not
thäte: eine gründliche Reform des Sch ulg esanges.
Denn unserm Schulgesange ist es vorzuwerfen,
daß er entgegen dem guten und bei so vielen andern
Unterrichtssächern auch schon beherzigten Grundsatze
noch immer scbolae nov vitae dient. Iedenfalls
wenigstens dient die Schule dem Leben nicht genug,
berücksichtigt sie nicht genug, daß sie nicht nur zu
leidlichem ^ingen-Rönnen, sondern auch zur Lust an
der Bethätigung dieses Ängen-Aönnens heranzu-
bilden hat und zu der Fähigkeit, das was gut und
echt ist, von ^chlechtem und Gefälschtem auch hier
zu unterscheiden. Der chchulgesang hat in den kserzen
der Rinder auch dauernde changessreudigkeit zu
erwecken, so daß der allmählich zum Selbstbewußtsein
sich entwickelnde Nlensch wahren Genuß, Trost und
Lrhebung aus dem Gesange zu schöpsen wisse. Sehen
wir die Sache unter solchen Gesichtspunkten an, so
müssen wir leider wohl gestehen: die Schule bleibt
hier viel, bleibt hier beinahe alles schuldig. Dem
Schulgesangunterrichte hat der Staat bis setzt die
denkbar geringfügigsten Opser gebracht, während er
z. B. sür das Turnen ersreulicherweise in den letzten
Zahren ganz außerordentlich viel gekhan hat. Lben-
lowohl wie aus Grund angemessener Nlethoden
Schreiben, Nechnen und Lesen gelehrt wird, sollte den
Aindern der Gesangunterricht nach klaren päda-
gogischen Grundsätzen erteilt werden, die auf ihre
Berechtigung und Brauchbarkeit wohlgeprüft sind.
Aber seder Lehrer treibt es bedauerlicherweise heute
im Schulgesangunterrichte, wie es ihm beliebt, und
nur sehr selten saßt er die Sache an, wie es der Be-
deutung des Gegenstandes angemessen ist. Gerade
in Deutschland ist es schlimm mit der Mege des
Schulgesanges bestellt. Das ist aus dem Berichte
eines Londoner Wusikverständigen zu ersehen, der vom
englischen Unterhause beauftragt war, sich über die
j?flege des Gesanguuterrichts in den Tlementar-
schulen des Festlandes zu unterrichten. Nach seinen
Beobachtungen sind in Deutschland die Lrgebnisse des
Unterrichts im allgemeinen die ärmlichsten, während
sie in der Schweiz, in Lsolland und Belgien in hohem
Grade zusriedenstellend sind. Tin Urteil, das recht
wenig dem Selbstlobe entspricht, das im Zubel über
den edeln deutschen Nlännersang allsonntäglich an
unsern Liedertaseln ertönt, wenn sich die ^anges-
brüder harmonisch anhochen, — ein Urteil aber, das
leider Gottes von sehr vielen geteilt wird, denen Sach-
verständnis die Unbesangenheit getrübt hat.
Daß aber auch in deutschen Volksschullehrerkreisen
die Unzulänglichkeit der heutigen Schulgesangpflege
lebhaft empfunden wird, das bezeugt ein bereits vor
zwei Iahren erschienenes tresfliches Büchlein: „Das
Lied als Gefühlsausdruck zunächst im volksschulgesange
betrachtet" von A. Stiehler.* Ieder, dem eine Neu-
belebung des volksgesanges ernstlich am Herzen liegtz
sollte es lesen und sich mit den Ansichten und An-
regvngen seines versassers auseinandersetzen. Der
Verfasser, ein Dresdner Llehrer, weist klar und über-
zeugend nach, daß der heutige Gesangunterricht in
der Volksschule durchaus auf salsche Bahnen geraten
ist, daß er vor allem seiner wichtigsten Ausgabe, das
Gefühlsleben zu sördern, nicht entspricht und somit
für das Leben wertlos ist. Tr weist nach, daß der
Drang zum Singen immer und überall vorhanden
ist, der jetzige Gesangunterricht die ^ust und Liebe
* Ls ist bci 6. A. j)ierer in Altenburg erschienen.
22. Stück.
Lrscbetnt
am Anfang und >n der Mitte
Derausgeber:
zferdiuaud Aveuarius.
Kesrellprets:
vierteljährlich 2 t/z Mark.
5. Zakra.
„Ikunstgesang" und Volksgesang.
(Zweiter Aufsatf.)
^^»^W>ie also ließe sich wohl eine Lrneuerung
volksgesanges — des volksgesanges
in unserem Sinne — denken?
Fassen wir die Mittel und wege schärfer
in's Auge, die etwa benützt und begangen werden
könnten, um in die Nähe unserer Ziele zu sühren,
so sehen wir doch recht bald, was vor allem not
thäte: eine gründliche Reform des Sch ulg esanges.
Denn unserm Schulgesange ist es vorzuwerfen,
daß er entgegen dem guten und bei so vielen andern
Unterrichtssächern auch schon beherzigten Grundsatze
noch immer scbolae nov vitae dient. Iedenfalls
wenigstens dient die Schule dem Leben nicht genug,
berücksichtigt sie nicht genug, daß sie nicht nur zu
leidlichem ^ingen-Rönnen, sondern auch zur Lust an
der Bethätigung dieses Ängen-Aönnens heranzu-
bilden hat und zu der Fähigkeit, das was gut und
echt ist, von ^chlechtem und Gefälschtem auch hier
zu unterscheiden. Der chchulgesang hat in den kserzen
der Rinder auch dauernde changessreudigkeit zu
erwecken, so daß der allmählich zum Selbstbewußtsein
sich entwickelnde Nlensch wahren Genuß, Trost und
Lrhebung aus dem Gesange zu schöpsen wisse. Sehen
wir die Sache unter solchen Gesichtspunkten an, so
müssen wir leider wohl gestehen: die Schule bleibt
hier viel, bleibt hier beinahe alles schuldig. Dem
Schulgesangunterrichte hat der Staat bis setzt die
denkbar geringfügigsten Opser gebracht, während er
z. B. sür das Turnen ersreulicherweise in den letzten
Zahren ganz außerordentlich viel gekhan hat. Lben-
lowohl wie aus Grund angemessener Nlethoden
Schreiben, Nechnen und Lesen gelehrt wird, sollte den
Aindern der Gesangunterricht nach klaren päda-
gogischen Grundsätzen erteilt werden, die auf ihre
Berechtigung und Brauchbarkeit wohlgeprüft sind.
Aber seder Lehrer treibt es bedauerlicherweise heute
im Schulgesangunterrichte, wie es ihm beliebt, und
nur sehr selten saßt er die Sache an, wie es der Be-
deutung des Gegenstandes angemessen ist. Gerade
in Deutschland ist es schlimm mit der Mege des
Schulgesanges bestellt. Das ist aus dem Berichte
eines Londoner Wusikverständigen zu ersehen, der vom
englischen Unterhause beauftragt war, sich über die
j?flege des Gesanguuterrichts in den Tlementar-
schulen des Festlandes zu unterrichten. Nach seinen
Beobachtungen sind in Deutschland die Lrgebnisse des
Unterrichts im allgemeinen die ärmlichsten, während
sie in der Schweiz, in Lsolland und Belgien in hohem
Grade zusriedenstellend sind. Tin Urteil, das recht
wenig dem Selbstlobe entspricht, das im Zubel über
den edeln deutschen Nlännersang allsonntäglich an
unsern Liedertaseln ertönt, wenn sich die ^anges-
brüder harmonisch anhochen, — ein Urteil aber, das
leider Gottes von sehr vielen geteilt wird, denen Sach-
verständnis die Unbesangenheit getrübt hat.
Daß aber auch in deutschen Volksschullehrerkreisen
die Unzulänglichkeit der heutigen Schulgesangpflege
lebhaft empfunden wird, das bezeugt ein bereits vor
zwei Iahren erschienenes tresfliches Büchlein: „Das
Lied als Gefühlsausdruck zunächst im volksschulgesange
betrachtet" von A. Stiehler.* Ieder, dem eine Neu-
belebung des volksgesanges ernstlich am Herzen liegtz
sollte es lesen und sich mit den Ansichten und An-
regvngen seines versassers auseinandersetzen. Der
Verfasser, ein Dresdner Llehrer, weist klar und über-
zeugend nach, daß der heutige Gesangunterricht in
der Volksschule durchaus auf salsche Bahnen geraten
ist, daß er vor allem seiner wichtigsten Ausgabe, das
Gefühlsleben zu sördern, nicht entspricht und somit
für das Leben wertlos ist. Tr weist nach, daß der
Drang zum Singen immer und überall vorhanden
ist, der jetzige Gesangunterricht die ^ust und Liebe
* Ls ist bci 6. A. j)ierer in Altenburg erschienen.