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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

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Heft 22 (2. Augustheft 1892)
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0352

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sr

Beftreben, den Geaenftand so darzustellen, wie er in
der Natur existirt. Ls ift thalsächlich in der Runst
eine Richtung ausgekominen, die darnach strebt. wir
werden daher zu uutersuchen haben, worauf dieser
Uuterschied beruht.

Line Darstellung, die realistisch sein soll, darf
jedenfalls in ihrem Gegenstand nicht das zu ver-
einigen suchen, was an verschiedenen Gegenständen
gleicher Art schön erscheint, sonst wird sie idealistisch.
Aber sie kann auch ihren Gegenstand nicht so dar-
stellen wollen, wie er in der Natur an sich gegeben
ist. worin besteht also der Nealismus? In dem
Nestreben, die unmittelbare subsektive Auffassung eines
Gegenstandes in der Natur wiederzugeben: nicht wie
der Gegenstand an sich ist, sondern wie er in der
subjektiven Auffassung gegeben, aber doch nicht wie
er als Ideal in der Natur gar nicht existirt, sondern
bloße Aonstruktion ist.

Die realistische Darstellung ist daher sehr subjektiv,
subjektiver in gewissem Sinne als die idealistische, die
aus vielen Lrfahrungen sich ein Niuster bildet. Sie
ist abhängig, wie wir schon gesehen haben, von den
Grfahrungen, die der Aünstler gemacht hat, ebenso
wie das beim Idealismus der Fall ist. von diesen
Lrfahrungen hängen die Assoziationen ab, die der
gesehene Gegenstand hervorruft, wodurch wieder die
Gcfühle bestimmt werden, die er hervorbringt und
die nicht am ganzen Gegenstand haften, sondern an
einzelnen elementaren oder begnfflichen Teilen des-
selben. Dadurch tritt in der verschiedenartigen Auf-
fassung des Gegenstandes verschiedenes hervor und
zurück und das wird entscheidend für die Darstellung.
Aus diesem Grunde werden auch die realistischen
Darstellungen eines Gegenstandes sehr verschieden aus-
fallen, je nach der Indioidualität des Aünstlers und
seiner Zeit, genau so wie beim Idealismus. Nur ist
beim Nealismus ein andres Bestreben vorhanden,
das aber von denselben Faktoren modifizirt erscheinr
wie beim Idealismus. Ts ist das Bestreben, die un-
mittelbare subjektive Trfassung eines Gegenstandes
in der Natur wiederzugeben. In strengem Sinn ist
das allerdings nicht möglich. Denn, wenn ein Nftaler
z. B. heute einen Gegenstand der Natur so darzu-
stellen sucht, wie er ihn sieht, so wird er ihn morgen,
ja vielleicht in einer Stunde schon anders sehen, je
nach seiner F>timmung. was also der Nlaler in der
realistischen Darstellung eines Gegenstandes zuwege
bringt, ist auch ein Nesultat verschiedener Auffassungen
zu verschiedenen Zeiten. Za, die realistische Darstellung
kann sogar auch das ssrodukt der Auffassung ver-
schiedener Gegenstände derselben Art sein, wenn nur
das Bestreben vorwaltet, den Gegenstand wiederzu-
geben, wie er zufällig in subjektioer Auffassung wirk-
lich erscheint und nicht, wie er als Nftuster nur er-
scheinen sollte. Das schließt aber in sich ein, daß
der Realismus immer nach dem Tharakteristischen zu
streben hat. Denn was er darstellen will, ist nicht
das vielen Gegenständen Gemeinsame, wie bei der
idealistischen Darstellung, sondern das, wodurch sich
eine Auffassung eines Gegenstandes von der anderen
unterscheidet und das, wodurch ein Gegenstand von

anderen Gegenständen derselben Art sich auszcichnet.
Dadurch allein entsteht das Subjektive, Zufällige,
die unmittelbare Auffassung eines Gegenstandes Renn-
zeichnende. Dieses Bestreben schließt aber auch die
Gefahr in sich ein, daß der Nealismus in Naturalis-
mus umschlagen kann; denn das Lharakteristische ist
dem Lsäßlichen verwandt, kann wenigstens leicht häß-
lich werden. Zedenfalls weicht man dem Zdealismus
dadurch am meisten aus, indem man sich geradezu
dem bsäßlichen zuwendet. Die Flucht vor dem Zdea-
lismus führt daher den Realismus leicht zum Natura-
lismus hin, der das Häßliche, wie der Zdealismus
das Schöne der Natur in einem Gegenstande zu ver-
einigen trachtet. Der Nealismus will die Natur nicht
häßlicher machen, als sie in der unmittelbaren Auf-
fassung erscheint. Der Naturalismus sucht die Natur
noch charakteristischer zu machen, als sie ist; dadurch
wird ihm nicht die charakteristische Darstellung die
Lsauptsache sondern der häßliche Znhalt und er schafft
eine unbeabsichtigte Narikatur der Natur. Daher
wird man bei einem Naturalisten oft beobachten
können, daß er gar nicht imstande ist, mit seiner Tech-
nik die Natur darzustellen, daß er aber diesen N'langel
zu decken sucht durch das Bizarre, Häßliche, Absonder-
liche des Znhalts — genau so, wie auch der Zdealist
die technischen Mängel seiner Darstellung durch Zdea-
lisiruug des Gegenstandes zu decken sucht.

Fassen wir das Gesagte noch einmal zusammen:
der Zdealismus sucht das iu der Natur zerftreute
Schöne in einem Gegenstand zu vereinigen, ohne des-
wegen das in der Natur Unmögliche darstellen zu
wollen, vielmehr muß er den chchein der Natur-
wahrheit erzeugen. Der Nealismus will seinen Gegen-
stand darstellen, wie ihn die unmittelbare Auffassung
bietet; er muß daher das Zusällige, Tharakteristische
zum Gegenstand seiner Darstellung machen. Der
Naturalismus geht über die unmittelbare Auffassung
der Natur hinaus, indem er noch natürlicher als die
Natur sein will; er gelangt dadurch zum Lsäßlichen
und Absonderlichen an Stelle des Tharakter'ftischen.

Der Naturalismus ist oft auch eine Art Zdealis-
mus, er entwickelt sich dann aus zu hohen Forder-
ungen, die an die Natur und das iteben gestellt
werden; da diese nicht erfüllbar sind, so erscheint das
Thatsächliche im Tchte dieses falschen Zdealismus als
ärmlich, häßlich, schmutzig. Gerade oft Naturalisteu
behaupten, in ihrem ^erzcn Zdealisten zu sein, doch
: die Natur sei ganz anders beschaffen. So erscheint
ihnen die Natur im Lichte ihres Zdealismus häßlich.
Ts giebt freilich auch einen Naturalismus, der aus
der Freude, sich im Schmutze zu wälzen, hervorgeht,
der unmittelbar am Lsäßlichen vergnügen empfindet.
Dahin kann aber nur der durch zu vielen Genuß
Überreizte kommen, der des Schmerzes bedarf, damit
noch eine wirkung auf seine Nerven ausgeübt werde:
es ist Blasirtheit. Niemand wird am ü^ßlichen Ge-
schmack finden, weil es häßlich ist, höchstens an der
charakteristischen Darstellung desselben, und nur Über-
reiztheit, geistige Rraukheit kann am Lscißlichen
mittelbar Vergnügen empfinden.

Or. von chchubert-5-oldern.



„Iknnslgesang" nnd Volksgesang. — Nundscbau. Dichtung. Uber die Aufgaben des Realismus.
— Nusik. Ueber Nilitär- und Stadtmusik. Alarich. —Bildende Aünste. Altes und neues Rokaka.
lSchluß.) Der verein bildender Aünstler Utünchens. Die Ruppel des Berliner Dams. Münchener Ausstellung. — Lose

ISlätler. — Sprecbsaal.
 
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