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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1892)
DOI Artikel:
Lier, Leonhard: Theaterkritik
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0356

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Lrstes September-Dett 1S92.

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i 23.Ttück.

Lrscbeint

Iberausgeber:

zferdtnand Nvenartus.

Lestellpreis;
vierteljährlich 21/2 Ulark.

Anzeigen 1 Z gesp. Nonp.-Zeile <sv ssf. -

Zakrg.

Tbeaterkritik

verflossene Spielzeit unserer Bühnen,
die in der Geschichte des deutschen Theaters
in Lolge ihrer Armut an künstlerisch wert-
vollen und geistig hochstehenden werken
eineit besonderen j)latz einnehmen dürfte, hat den
Gegnern des leidigen Rezensententums in einer That-
sache eine waffe in die Lsand gespielt, wie sie
günstiger für die, welche den berufsmäßigen Besser-
wissern etwas am Zeuge flicken wollten, nicht ge-
dacht werden kann. Diese Thatsache, der es freilich an
Borläufern nicht fehlt und leider an Nachfolgern nicht
fehlen wird, ist der außerordentliche Aassenerfolg eines
von der ernsten Aritik mit ungewöhnlicher Ginmütigkeit
wegen seiner Geistesarmut, inneren Unwahrscheinlichkeit
und 2lbgeschmacktheit abgelehnten Theaterstückes. In
Nord und Süd, Gst und west unseres guten deutschen
Neiches und weit über seine Grenzen hinaus bis zu
dem theaterfreudigen wien hat Blumenthals — und
wir können uns wirklich nicht mehr erinnern, ob
noch eines anderen Uelfershelfers — fader Schwank
„Großstadtluft" die Zwerchfelle der „Uunstver-
ehrer" erschüttert und die hungrigen Taschen der
Theaterleiter mit goldenem Nlannah angefüllt. Die
wahre Runst aber, die hohe und ernste, verhüllte ihr
Lsaupt und trauerte in Sack und Asche. So wenigstens
meinten die Rritiker, die mit ihr befreundet zu sein
behaupten. Die Lserren Direktoren aber und die sich
am wehen der Großstadtluft erfreut haben, wissen
es anders. Der Lrfolg hat wieder einmal gelehrt,
daß die Rritiker vom Theater eigentlich nichts ver-
stehen, die große ^ummenzahl der Tantiemen, wer
weiß, mit wie vielen Nullen, im Lsauptbuch der
Lserren Blumenthal und Tompagnie ist der echte
prüfstein für den wert oder Unwert des ^tückes.
Die Direktoren aber verzehren sich in Sehnsucht nach
einem neuen Runstwerk gleichen Schlages.

Ls steht zu hoffen, daß sich die Rritiker durch

diese Betrachtungen der Anbeter des Trfolges nicht
werden bange machen lassen. Aber nicht nur in den
Kreisen derer, die zu ihnen halten, weil sie glauben,
daß sie treu zu der Lahne der Uunst stehen, sondern
in ihrer eigenen Nlitte wird sich die Lräge erheben:
wozu mühen wir uns mit der Verurteilung eines
so minderwertigen werkes ab, wenn alle Derneinung
seines wertes den Siegeslauf durch die deutsche ge-
bildete welt nicht aufhalten kann, wozu suchen wir
noch solche Steine des künstlerischen Anstoßes aus deni
wege zu räumen, wenn sie doch uns unter den
Lsänden verschwinden und in tollem Herabrollen eben-
soviele bsemmnisse des guten Geschmackes, den wir
im Sinne des publikums aufgerichtet zu haben
meinten, mit leichter Wühe überwinden? Dieselbe
Menge, die gestern noch diese oder jene klassische
Romödie mit subelndem Beifall aufgenommen hatte
und die noch am nächsten Morgen von dem Dar-
steller der k^auptrolle schwärmt, lacht sich am Abend
über einen faden Schwank und über einige Alätzchen
der Darsteller halb krank und verläßt das k^aus mit
dem königlichen Gefühl, sich köstlich amüsirt zu haben,
mag Müller oder Schulze in der Zeitung eine
noch so süßsaure Nliene zu der Sache machen. wir
wollen lachen, wir haben gelacht und damit basta!
Der Dichter ist ein ganz famoser Rerl! Thäte der
Rritiker nicht vielleicht besser, in dieses zufriedene
(achen mit einzustinrmen und sich mit den Lröhlichen
zu unterhalten, wenn alles Nunzeln der Stirne die
behagliche Beweglichkeit der Lachmuskeln der anderen ^
nicht zu stören vermag? n

Ls bedarf nicht der Andeutung, in welchem
Sinne die Antwort auf diese Lrage auszufallen hat. !
Aber so gar leicht ist die Antwort doch nicht zu ^
geben, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Stücke
von dem Schlage des ebengenannten die plebejische !
Nlehrheit in dem Angebot bilden, welches unsere
 
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