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VORWORT

AUS Lehrerkreisen wurde mir der Wunsch nach diesem Buche
nahegelegt. Der Lehrerschaft ist es deshalb gewidmet. Es kann
kein anderes Verdienst für sich in Anspruch nehmen, als die
Kunstschätze Österreichs mehr zu berücksichtigen wie die bis-
herigen Handbücher dieser Art. An der Liebe zur Heimat und
dem Verständnisse seiner Leistungen lernt man den Maßstab
für fremde Arbeit.

Die Wege der Kunst sind verworren. Sie werden nur gangbar,
wenn man die Kunst nicht als Ding für sich, sondern in ihren
geistigen Zusammenhängen mit den übrigen Kämpfen und Er-
rungenschaften menschlichen Ringens betrachtet. Auf die Her-
zählung nüchterner Tatsachen beschränkt sich deshalb dies Büch-
lein nicht. In Paragraphe läßt sich die Geschichte nicht pressen.
Sie wandelt auch nicht auf einem geraden Wege, sondern schlägt
deren viele ein, parallellaufende und sich kreuzende, bergauf zu
lichten Höhen, bald wieder zu tiefen Abgründen hinabführende,
denn selbst die Ziele ändern sich mit den Geschlechtern.

Die neuerdings aufgefundenen kleinen Rundfiguren der „Venus
von Willendorf“ im Wiener Kaiserl. Königl. Naturhistorischen
Hofmuseum und des „Idols von Brünn“ in der Kaiserl. Königl.
deutschen Technischen Hochschule in Brünn werden gleich den
gemalten und gravierten Tiergestalten nordspanischer und süd-
französischer Höhlenwände jener vieltausendjährigen Vergangen-
heit, der älteren Steinzeit zugeschrieben, die uns damit ohne
Vorstufe und ohne Nachfolge schon einen Höhepunkt der Natur-
beobachtung und künstlerischen Ehrgeizes offenbart. Ihr Weg
aber verliert sich und ist für unser Auge überwuchert vom
Gestrüpp der folgenden Jahrtausende, und verhältnismäßig spät
erst beginnt sich der Pfad zu lichten, auf dem wir eine wachsende
Entwicklung des Kunstgefühls verfolgen können.
Nicht viel schärfer ist unser Blick bei der Betrachtung der
Gegenwart, in deren Streit wir mitten inne stehen. Wie dem
körperlichen wird auch dem geistigen Auge das Allzunahe gleich
dem Allzufernen undeutlich. Und doch sollten wir vor allem
unsere eigene Zeit verstehen lernen. Wie sich ihre Wünsche
regten und zu vielfältiger Erfüllung drängten, ist das vorläufige
Endziel dieses Buches. Es stellt keine Schönheitsregeln auf und
verdammt keine Richtung. „Zum Sehen geboren, zum Schauen
bestellt“, wie der faustische Turmwächter Lynkeus, soll es nur
zu eigener Beobachtung anregen. ju]ius Leisching

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