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VÖLKERWANDERUNG UND
KAROLINGISCHE ZEIT

Wanderungen ganzer Stämme gab es in alter Zeit häufig; wenn die Triften
abgeweidet waren, wenn infolge starker Vermehrung Not an Land eintrat oder
der Krieg zwang. Aber ein so allgemeiner Wandertrieb, und so gewaltige
Verschiebungen ganzer Völker und so unüberblickbare Folgen wie in den
ersten Jahrhunderten u. Z. hatte es noch nicht gegeben. Als die Goten im
2. Jahrhundert u. Z. von Ostsee und Oder südöstlich zum Schwarzen Meer
zogen und damit die Germanen an der Donau gegen die römischen Grenzen
drängten, lockte sie wohl, wie früher schon die Zimbern und später die Ger-
manen und Hunnen, auch ein ferner Ruf von der Pracht römischen Lebens
und die Aussicht auf glückliche Beute. Aus den unablässig kämpfenden Feinden
wurden nach dem Einbruch der Hunnen (372) wenigstens zum Teil römische
Söldner, Verbündete und willkommene Ansiedler, die ihre unverbrauchte Kraft
und Treue als Gegengabe für die höhere Kultur darboten.
Was die Germanen an künstlerischem Vermögen mitbrachten, war die
den Römern fremde Bauweise in Holz und die damit verbundene Schnitjerei
von asiatischen Erinnerungen zehrende Schmuck.
HOLZ UND METALL. Attilas (gest. 453) Haus wie
sein Stuhl, Schüssel und Becher sind von Holz, denn
seine Hofhaltung ist gotisch. Von den kerbschnittartigen Verzierungen des
Holzes übernimmt selbst die Goldarbeit ihre Muster und behält sie nebst
der Nachahmung des Flechtwerkes auch nach den Stürmen der Völker-
wanderung (372—453) noch bei. Die Unruhe des kriegerischen Wanderlebens
und die Derbheit der schwertgewohnten Hand läßt die feinere Durchbildung
noch nicht aufkommen und begnügt sich mit dem Belag von Glasplättchen
auf Gold als Surrogat für die schwierigere Technik des Zellenschmelzes.
Funde von: Groß St. Martin (angeblicher Schaß Attilas, vermutlich aber erst aus
dem 6. bis 7. Jahrhundert), im Wiener Hofmuseum. — Petreosain Rumänien (angeblicher
Schaß des Ostgotenkönigs Athanarich). — Guarrazar bei Toledo (mit den Goldkronen der
westgotischen Könige Svinthila und Rekkeswint, 7. Jahrhundert). — Monza bei Mailand
(Schaß der Langobardenfürsten, 7. Jahrhundert).
Auch weiterhin überwiegt unter den kunstgewerblichen Arbeiten die Gold-
schmiedekunst, in der sich die bisher als barbarisch geltenden neuen
Kräfte zuerst hervortun. Eligius (geb. zu Chatelat bei Limoges, gest. 659),
fertigte vermutlich den Faltstuhl des Königs Dagobert I. (Paris, National-
bibliothek), er ist Apostel der Flandrer und Sueven, Bischof und zugleich
Goldschmied und verdiente dadurch auch der Patron der Goldschmiede zu
werden, denn er hat den Nordländern die Kunst heilig gemacht. Der Lango-
barde Wulfin schuf den Silberaltar von S. Ambrogio zu Mailand mit Dar-
stellungen aus dem Leben Christi und des heiligen Ambrosius (um 830). Im
Nordosten schenkt der Bayernherzog Tassilo und seine Gemahlin Liutperga,
elf Jahre vor seiner Abseßung durch Karl den Großen, dem Benediktiner-
kloster Kremsmünster in Oberösterreich den nach ihm benannten Tassilo-
kelch (777), eines der wichtigsten Denkmäler karolingischer Kunst. Er ist
aus Kupfer gegossen und vergoldet, auf Silberblech sind die Brustbilder von
Christus, den Evangelisten und Propheten nach byzantinischen Vorbildern noch
eingegraben, ihre Gewandlinien vergoldet, ihr Fleisch in schwärzlichem Schwefel-
silber ausgeführt (Niello von nigellum = schwarz); die bandartigen Ver-
schlingungen erinnern an die irische Buchmalerei.

sowie der eigenartige,
KUNSTGEWERBE
 
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