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Nationaltheater Mannheim [Hrsg.]
150 Jahre National-Theater Mannheim: 1779 - 1929 — Mannheim, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.20765#0017
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Ein Blick ins Parkett um die Jahrhundertwende

Geschichte des Theaters, Tradition, viel Tradition, von
Dalberg bis Sioli, von Iffland bis zur Bindernagel, Illustre
und Prominente, Einheimische und Gäste, ja aber was
wäre denn das Mannheimer Nationaltheater ohne sein
Publikum.

Und feiert man das Theater, stolz, selbstbewußt, weil
dieses bürgerliche Hoftheater von der Stunde seiner Be-
gründung etwas besonderes, etwas eigenartiges war, so darf
man das Publikum nicht ganz vergessen. Ich höre den Ein-
wand: Soll man eine Abonnentenliste niederschreiben, den
Adel und das patrizische Bürgertum im ersten Rang oder die
Kunstverständigen vom Wochenmarkt und aus der Filzbach,
auf dem Juchhe oder im „Löschl", der Notabeinherberge des
vierten Rangs? Durch 150 Jahre, was gäbe das für eine
Liste! Nein, das geht nicht. Aber was ist ein Theater-
jubiläum, das die ganz vergißt, deren Begeisterung das
Theater trug?

Der alte Hofrat Rümpel, der alte Heckel und der jüngere,
der Wagner-Heckel, an den die älteren unter uns sich nur
noch als alten Mann erinnern, die Hermännin auf der Galerie
und der Karlche Mayer sind Märchengestalten aus dem Hause
am Schillerplatz.

Lebendiger sind andere Bilder und Menschen; um 1900,
knapp ein Menschenalter her. Da saßen sie immer. Nicht
Abend für Abend, aber doch an jedem Abend, der was be-
deutete. Und Bedeutung hatte nicht etwa nur die Premiere,,
nein jede Neubesetzung einer wichtigen Rolle war ein Ereig-
nis und ein Grund, nicht zu fehlen. Ein Blick ins Parkett.
Da saß in der ersten Reihe Herr Theodor Straube, der
rechte Mannheimer Theaterenthusiast. Er hatte ein gutes,'
gepflegtes Geschäft und die Delikatessen, die sein Haus
lieferte, standen auf dem Tisch des „besseren" Mannheimers.
Für ihn gab es nur eine Delikatesse, die war das Theater.

Rechts hinter ihm zwei reichlich Proportionierte neben-
einander — wenn eine Oper gegeben wurde — Karl Esch-
mann, der Musikkritiker, der jeden Abend wieder in seine
pfälzische Heimat zurückfuhr. Neben ihm Albert Bens-
heim e r, der Verleger, der mittlere der drei Brüder, der
sich an die Aufführungen unter Wolf^ Devrient und Werther
erinnerte, verglich, kritisierte und wohlgefällig lachte. Etwas
abseits die schmale Gestalt Robert Bassermanns, den
man im Bau die Theaterschwiegermutter nannte. Ein feiner,
gebildeter alter Junggeselle mit zwei Leidenschaften, die

ohne Zusammenhang waren. Eine unermüdliche Hingabe an
die Bestrebungen des liberalen Protestantismus und die Sorge
für das Theater, an dessen Spitze sein Bruder stand, mit dem
er gemeinsam das schöne alte Haus am Gockelsmarkt be-
wohnte.

Auf der linken Seite des Hauses saß Hermann
Waldeck. Jeder kannte ihn und er kannte jeden. Das

FRITZ ALBERTI

Schauspieler am Nationaltheater von 1913 bis 1922.

Theater war ihm ein Stück Lebensinhalt. Lebhaft gestiku-
lierend, immer behaglich, immer ungekünstelt gab er sein
Urteil ab. Er, wie die anderen da unten, hatten vier oder fünf
Jahrzehnte Mannheimer Theater erlebt und in sich auf-
genommen. In der Pause sammelte man sich zur Kritik.

Ein Jüngerer kam oft bescheiden dazu, der als Student im
Parkett saß und dessen große Liebe auch das Theater war.
Das war Ernst Leopold Stahl, der im Abstand mit anhörte,
was die Alten sagten. Auch Eugen Grieser gesellte sich
zu der Gruppe. Dem Junggesellen genügten nicht die Ein-
drücke des Abends. Er trug sie gewissermaßen schwarz auf
weiß nach Hause. Er sammelte sie. Wer je auf der Mann-
heimer Bühne stand, mußte Herrn Eugen Grieser seine Photo-
graphie mit eigenhändiger Widmung geben. Griesers Album
oder Albums waren in Mannheim eine stadtberühmte Sache.

Von der Treppe auf der linken Seite kamen die Kommis-
sionsmitglieder herunter. Ja, man lächelte manchmal über
die Stimme, dieser Getreuesten des Theaters, aber man wollte
sie doch hören. Zuerst erschien in der großen Pause Stadt-
rat Dr. Stern, ging auf die Gruppe zu, setzte den Kneifer
zurecht und mischte sich in die Unterhaltung. Auch ihm war
das Theater ein Stück des Lebensinhalts; Martersteig war
sein bester Freund und hat ihm einstmals Hagemann
empfohlen, als die Intendanz Hofmann mit einer Enttäu-
schung geendet hatte.

Zurückhaltender, weniger lebhaft und mitteilsam, war der
zweite Jurist in der Kommission, Dr. Oskar Grohe, ein
Mann von hoher musikalischer und auch literarischer Bil-
dung, der vielleicht doch ganz gerne den Vorsitz in der
Kammer für Handelssachen beim Landgericht mit dem In-
tendantensessel vertauscht hätte, wie man immer raunte,
wenn eine Sedisvakanz am Schillerplatz nach August Basser-
manns Berufung nach Karlsruhe eintrat. Wenn gar Stadt-
rat Freytag oder Heinrich K ü 11 m e r sich in der Runde
einfanden, dann muß es schon eine Sensation im Theater ge-
wesen sein.

*

Blick ins Parkett um 1900. Ja das war ein Blick auf be-
kannte Gesichter. Noch mancher andere saß da unten, der ein
Inventarstück des Theaters war und gekränkt wäre, wenn er
seinen Namen in dieser Betrachtung nicht fände. Eines hatten
sie alle gemeinsam: eine heiße Liebe zu ihrem Theater, auf
das jeder von ihnen stolz gewesen ist. Und den einen
Wunsch hatten sie alle, daß ihr Theater immer eine Kunst-
stätte von dem Rang und der Geltung bleibe, die damals im
ganzen Reiche ihm keiner bestritt. Ein anderes Publikum
sitzt heute im Hause — unten und oben. Möge ihnen der
Wunsch derer von damals ein Vermächtnis sein! X

Hermann Goetz an Ernst Frank

Briefe des Komponisten der Oper „Der Widerspenstigen Zähmung" an seinen Mannheimer Freund

Mein lieber, lieber Freund!

Soeben empfing ich Ihren lieben Brief hier oben 3600
Meter über Meer, aber mit allen Gedanken bin ich bei
Ihnen in Mannheim. Haben Sie nochmals und immer
wieder den innigsten Dank meiner ganzen Seele für alles,
was Sie an meinem Werke und dadurch auch an mir tun!

Und nun ohne weitere, Vorrede zu etwas Traurigem,
was auch Ihnen nicht lieb sein wird. Ich komme natürlich
zur ersten Aufführung nach Mannheim, und auch wenig-
stens 8 Tage vorher für die letzten Proben, aber helfen
beim Einstudieren, wie ich so gerne wollte, so wie ich
es für meine Pflicht hielt und wie es mir künstlerisch
auch sehr gut getan hätte, lieber Freund, das kann ich
wahrscheinlich nicht. — Ich bin krank. — Nachdem mein
altes Lungenleiden zwei Jahre lang mir ganz Ruhe ge-
lassen hatte (was habe ich im vergangenen Sommer nicht
für Strapazen ausgehalten!), hat es sich vor einigen
Wochen wieder stark gemeldet. Ich glaubte es werde
nur vorübergehend sein, und habe deshalb Fräulein
Ottiker (die Sängerin der Katharina in der Uraufführung
der Goetz'schen Oper), das 8 Tage nachher bei uns war,
nicht viel davon sagen mögen. Aber seitdem hat sich
leider herausgestellt, daß für längere Zeit und jedenfalls
für den nächsten Winter die äußerste Schonung meiner-
seits notwendig sein wird, wenn ich nicht alles zu
riskieren habe. Uebrigens habe ich es vor 3 Jahren
sehr ähnlich gehabt, und es ist mir mit Hilfe von Alpen-
luftkuren und großer Schonung glücklich besser ge-
worden. Ich bin jetzt in einem solchen Kurorte, bleibe
bis Mitte, September hier und hoffe dadurch wenigstens
so weit zu kommen, daß ich ohne Gefahr bei den Proben
und der Aufführung zugegen sein kann. Mehr freilich
werde ich nicht leisten können."----

Mein lieber Herzensfreund!

Warum muß es Entfernungen in der Welt geben, oder
warum hört man hier und da die hohle Phrase herum-
schwirren: Durch die Eisenbahnen seien die Entfernungen
tatsächlich aufgehoben? Wenn so ein armer Tropf wie
ich durch die Reise von Mannheim nach Zürich so
heruntergebracht wird, daß er in Basel kaum noch japsen
konnte, und bei der Ankunft in Zürich todmüde sofort
ins Bett gebracht werden muß, dann spürt man, daß es
Entfernungen gibt. Jetzt möchte ich so gerne in Mann-
heim sein, wenigstens noch für morgen Sonntag abend und

Am 11. Oktober 1874 wurde am Mannheimer National-
theater diel Oper von Hermann Goetz „Der Wider-
spenstigen Zähmung" aufgeführt. (Der Theaterzettel
der Uraufführung ist in diesen Blättern wiedergegeben.) Dem
damaligen Mannheimer Hofkapellmeister Ernst Frank ge-
bührt das Verdienst, in dem armen Zürcher Klavierlehrer
Hermann Goetz einen Opernkomponisten entdeckt zu haben.
Die Aufführung war ein großer künstlerischer Erfolg, —
aber wie erstaunten die Mannheimer bei den Hervorrufen des
Komponisten einen blassen, abgemagerten, hohläugigen
Menschen vor sich zu sehen, der mit seinem dicken grünen
Halstuch das typische Bild eines Schwindsüchtigen darbot.

THILA HUMMEL

Schauspielerin am Nationaltheater von 1903 bis 1917.

Ernst Frank, der unermüdlich für seinen Freund Goetz
eintrat, brachte am Nationaltheater auch nach dessen Tod
(am 3. Dezember 1876) seine nachgelassene Oper „F r a n -
cesca da Rimini" zur Uraufführung. Aus den folgen-
den Briefen von Hermann Goetz an Ernst Frank erkennt man
das herzliche Freundschaftsverhältnis der Beiden, zugleich
auch das schwere körperliche Leid des unglücklichen Kom-
ponisten einer unserer schönsten Opern.

Am 9. August 1874, also vor der Erstaufführung der
„Widerspänstigen", schrieb Goetz aus Richisaus, wo er da-
mals zur Kur weilte, an Frank folgendes:

Am 23. August läßt sich dann Goetz weiter vernehmen:

Mein lieber Freund!

Kaum kann ich Ihnen sagen,' wie überaus wohltuend
Ihre lieben Briefe auf mich wirken, und wie sie, glaube
ich das Beste tun an meiner, Gott sei Dank, recht günstig
fortschreitenden Kur. Daß ich die Hoffnungen, die Sie
auf den Erfolg der Oper setzen, mit ganzer Seele teile,
können Sie sich wohl vorstellen. Wenn es aber wirklich
so kommt, werde ich auch nie vergessen, daß Sie der
Erste waren, der den Wert der Oper beim flüchtigen
Durchspielen erkannte, und tatkräftig und entschlossen
für das Werk in die Schranken trat, um es auf die Bretter
zu bringen.---"

*

Nach der Aufführung der „Widerspenstigen" traf fol-
gender Brief aus Hottingen bei Zürich, dem damaligen Wohn-
orte von Goetz, ein:

SYBILLE BINDER

Schauspielerin am Nationaltheater von 1912 bis 1914.

doch fühle ich, daß ich hier sein muß, um in Ruhe und
der allerdings etwas besseren Luft wieder zu Kräften zu
kommen. Also nicht weiter gemurrt! Es ist nun ein-
mal nicht anders.---Das ists, was ich Dir heute

schreiben wollte: daß ich im Herzen immer noch bei
Euch bin, daß ich die ganze liebe Sippschaft, die morgen
Abend mir zu Ehren wieder nach Padua und Verona
wandert, tausendmal und Fräulein Ottiker ganz beson-
ders 1001 mal grüßen lasse, das versteht sich ja von
selbst. So sei Du selbst auch noch aufs innigste ge-
grüßt von Deinem dankbaren Freunde!

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