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Nationaltheater Mannheim [Hrsg.]
150 Jahre National-Theater Mannheim: 1779 - 1929 — Mannheim, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.20765#0021
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Ält-Maiinheimer Persönlichkeiten stand war Herr von Davance, der oberste badische Eisen- „Räuber". Die Räuber ließ ich in der längst üblichen Auf-

bahnbeamte, eine feurige,,kräftige Natur, ein Redner mit dem führung nach dem Original geben. Ich erinnere mich, daß
Inzwischen waren die beiden Komiteemitglieder Hecke! Brustton der Ueberzeugung. Das bedeutendste Mitglied der Ifflands Jäger ganz besonders gut von den damaligen Kräften
der Aeltere und Dr. Gentil gestorben, mit denen ich mich auf Räuberhöhle war der damalige badische Minister August dargestellt wurden und höchst lebensvoll wirkten, we«
das beste vertragen, weil unsere administrativen wie künst- Lamey, berühmten Angedenkens; er saß jeden Abend auf Sprache und Bewegung in volle Uebereinstimmung mit den
krischen Ansichten fortwährend übereinstimmten. Statt seinem Stammplatz und hatte quasi die Geltung von einem Kostümen von 1779 gebracht waren.-

ihrer waren zwei neue Männer mit bestem Wollen und von Pontifex maximus. Ich verdanke seinen politischen Aus- Ein dramaturgisches Ereignis von Bedeutung war die

guter Bildung eingetreten. Der Musikreferent im Komitee einandeVsetzungen, seiner weisheitsvollen Beurteilung jeder vollständige. Aufführung beider Teile des

sozialen und politischen Phase in der damaligen hochwich- Faust. Obwohl die Komiteemitglieder in ihrer gewohnten
tigen Entwicklung des Deutschen Reiches, seiner intensiven
Menschenkenntnis, seiner gemäßigten toleranten Anschauung
rein menschlicher Verhältnisse, wie er sie in einfachster
Form, ohne jede beabsichtigte Präponderanz den umsitzenden
Freunden gegenüber aussprach, die nachhaltigste Belehrung,
eine Belehrung, die ich in meinem kleinen Wirkungskreise
sehr wohl verwerten konnte.

*

Die Hundertjahrfeier des Nationaltheaters

Im Jahre 1879 feierte das Mannheimer Hof- und
Nationaltheater sein 100 jähriges Bestehen.
Da die Bevölkerung mit ihrem Theater ganz verwachsen ist,
so mußte diese Feier eine Art Volksfest werden.
Denn die Namen Schiller, Iffland, Dalberg, die mit der Grün-
dung innig verwachsen sind, pflegt jeder Mannheimer im
Munde zu führen, wenn er von seinem Theater spricht.

Zunächst wurde mir auferlegt, ein Festspiel zu
schreiben, das diese ihre Theaterheroen verherrlichte. Ich
nannte es „Poesie und Geschichte". Die Komposition war
folgende:

Poesie und Geschichte bei Aufgang des Vorhanges in
Wolkendekoration. Wechselgespräch über den Zustand der
deutschen dramatischen Kunst vor Schiller. Hinweis auf
Karl Theodor, Kurfürsten von der Pfalz, Gründer des Mann-
heimer Theaters. Die Wolken zerteilen sich. Szene: Karl
JOACHIM KROMER Theodor übergibt die Führung des neugegründeten, der ALEXANDER KÖCKERT

Sänger am Nationaltheater von 1895 bis 1922. deutschen Sprache geweihten Hoftheaters an den Reichsfrei- Schauspieler am Nationaltheater von 1894 bis 1925.

herrn von Dalberg; der Bürgermeister von Mannheim assi-
stiert. Wolken fallen vor. Poesie und Geschichte erscheinen
wurde Herr August Scipio, Bruder des bekannten Reichstags- au[ ngue Die poesie bezweiMt der Geschichte gegenüber Sparsamkeit mir nur kärgliche Mittel für die Inszenierung
abgeordneten, der sein Leben lang Musikstudien bis zum Wert und Bedeutuno. der deutschen Künstler 2 Bild und des 2- Teiles und noch viel weniger für die des ersten Teiles
Uebermaß getrieben und wegen all zu splendider Veraus- Szene. ße* und ßeck; die nachma]igen Größen der bewilligt hatten, brachte ich doch mit zweckmäßiger Be-

gabung derselben den Spitznamen „Der Musiksimpel" sich m Mannheimer Buhne; schiießen in einsamem nächtlichen Wald nutzung des reichen Dekorationsfundus des Mannheimer
der Gesellschaft zugezogen hatte. Scipio war das Prototyp einen Künstlerbund. Wieder erscheinen Poesie und Ge- Theaters, der seit Mühldorfers Zeiten glücklicherweise in
eines enthusiastischen Dilettanten, er schwärmte und be- schichte Die Poesie erklärt die vorher Erschienenen zwar einem sorgfältig weitergeführten Skizzenbuch genau über-
geisterte sich für die entgegengesetztesten Arten von Korn- fflp große KÜHStlerj aber nur für reproduktive, der Wahre, dei sehen werden konnte, das gewaltige Werk recht ansehnlich in
Positionen, konnte sie aber ebenso leicht fallen lassen. Seine Schaffende müsse erst kommen. Sie erschaut ihn: es ist der die Erscheinung. Die Kräfte, die in erster Linie standen,
Urteile schwebten in der Luft, weil sie nur von momentanen jugendliche Friedrich Schiffer, der im dritten Bilde unter einer waren zwar nicht ersten Ranges, aber nach einer Reihe von
Stimmungen und Empfindungen getragen waren. Er war machtigen deutschen Eiche erscheint und in längerem Mono- Proben derartig zusammengeschweißt, daß die Intelligenz-
ganz und gar von Augenblickserfolgen eines Theaterabends j sfch ausspricht. Es kommen ihm die Ideen zu seinen und Bildungslücken, welche fast überall und immer heraus-
abhängig und dann wieder von den Kritiken, die am anderen epsten Tragodien, die in den Zweigen des Eichbaums nach- klaffen, wenn die Mimen diese Riesenaufgabe bewältigen
Tage erschienen, ferner warfen ihn die Urteile, die er in den eänander in ßildform sichtbar werdend Die Räuber, Fiesko. sollen, jedenfalls verdeckt waren. Ich ließ mich aber auch
Gesellschaften hörte, wie eine Schaukel vom einen Ende zum uM Ueh& ^ Don CarloS; die bekanntlich in Mann. die Mühe nicht verdrießen, von dem, was ich selbst durch

anderen. Man mag sich also denken, wie . schwierig es für heim ihrg Urauffühmngen erlebten. Die Worte, die Schiller Vorbildung und langjähriges Studium mir mühsam erworben,
mich war, klare Entscheidungen über Engagements von Mit- rezitiert) sind den jeweilig erscheinenden Stücken resp. den jedem einzelnen so viel zu geben, als für das Verständnis,
gliedern, über Erwerbung von neuen Opern usw. bei diesem betreffenden Szenen entnommen. Hierauf ein großer Monolog seiner Rolle erforderlich war. Die Leute waren mir dankbar
Herrn durchzubringen, um so mehr, als sich ihm Rümpel der Geschichte, die, von allen Seiten die Gestalten der großen dafür und gingen mit vollen Segeln in dies Goethesche unend-
assoziierte, der vor Scipios musikalischem Wissen einen un- Werke zusammenberuft, die auf der Mannheimer Bühne, von liehe Meer, das wohl nie vollständig durchfahren werden
begrenzten Respekt hatte, und als Lachner die Situation berühmten Künstlern dargestellt, erscheinen. Schlußbild: kann. Mein Prinzip war indes, so vollständig als nur irgend-
seinen Prinzipien gemäß ausbeulete. Wenn ich damals nicht Unter dem Schutze des Stadtbildes Mannheim gruppieren sich wie bei dem damaligen Stand der Maschinerie möglich war, den
als Dritten den nationalliberalen Reichstagsabgeordneten die Gestallen. Endiich erscheint nochmals die Poesie in Faust zur Darstellung zu bringen.
Eckardt im Komitee gehabt hätte, der vermöge seiner poli- Wolken und weiht den Lorbeerkranz, den sie aus ihren
tischen Autorität und seiner scharfen, klaren Durchschauung Haaren nimmt; dem badischen Herrscherpaar, unter dessen

von Menschen und Verhältnissen in letzter Instanz doch kunstsinnigem Zepter das Theater steht. Am andern Tage lautete zwar die Kritik sehr anerken-

durchdrang, so würde meine Position bald unhaltbar ge- Um d{m dekoraüven Xeil hatte sich Fritz Brandt mit nend) aber sie beklagte die Länge der Aufführung. Da sich

worden sein. bestem Erfolg bemüht, indem er die Wolkenschleier des zuvor das Publikum, obwohl es mit größter Spannung bis zum

Die Abende nach dem Theater brachte ich meistens in gegebenen Wagnerschen Nibelungenringes benutzte. Die Musik Schluß ausgehalten, der Kritik teilweise anschloß, so mußte
der Gesellschaft Die Räuberhöhle" zu. Die Räuber- dazu hatte Ferdinand Langer komponiert. Auch dieser blieb ich bei der Wiederholung Faust II an zwei Abenden geben,
höhle deren Titel sich wohl an Schillers Räuber anlehnte, mir ein treuer Mitarbeiter. Das Festspiel mußte an mehreren Da blieb ab.er der großartige Gesamteindruck aus. Und nun
war damals der Vereinigungspunkt aller Mannheimer Intelli- Tagen wiederholt werden, bis jeder Mannheimer sich mit dem verlangte man wieder die Aufführung an einem Abende. Da
genzen, obwohl nur gekneipt wurde. Bis zum Kriege war die Ruhm seines ehrwürdigen Theaters neu erfüllt hatte. Ich die Zuschauer im Grunde wie Kinder sind, so willfahrte, ich
politische Gesinnung darin zum Teil noch partikularistisch, gab dann noch als weitere Festvorstellung zum Gedächtnis ihnen bei der zweiten Wederholung um so lieber, als ich recht
nach 1870 konnte man sie nationalliberal nennen. Der Vor- der Gründungsperiode Ifflands „Jäger" und Schillers behalten.

Ich krame in Erinnerungen

Von Dr. Florian Waldeck

Wenn ich meine Theatererdnnerungen chronologisch zu Ein Gremium der Kunst und der Künstler traf sich täg- Künstler, die Mannheim schon verlassen hatten, als ich
ordnen versuche, fangen sie sehr komisch an: am Familien- lieh nach 12 Uhr im Nebenzimmer des Bonn'schen Zigarren- Theaterbesucher wurde und andere, die Jahrzehnte in
tisch erzählte mein Vater, es habe gestern einen furchtbaren geschäftes in D 4. Da war das halbe Theater beisammen. Mannheim blieben. Nicht nur die Namen sind mir in Er-
Krach zwischen Stadtrat Herschel und dem Intendanten von___ innerung, auch ihre Erscheinungen sind mir gegenwärtig.

Stengel gegeben. Warum mir diese Schilderung im Ge- Da saßen Hohmann und Porth der Held, Nieper, der Bonvi-

dächtnis blieb, weiß ich freilich nicht mehr. Da Freiherr -jr ^fe. V'"'1, der Baritonisl Zarest, Krug, der Heldentenoer, Hans

von Stengel 1892 Mannheim verließ und Alois P r a sch an Rüdiger der Bufi'o, die Tobis und die Wittels, die Walles und

seiner Stelle Intendant wurde, war ich noch nicht schul- das Ehepaar Jaeobi. der kürzlich verstorbene jüngere Stury

pfiiehtig, als dieser „Krach" gewesen ist. Mein erstes, un- und der Mannheim treu gebliebene Paul Tietsch. Da wurde

mittelbares Theatererlebnis war das Schneewittchen. Die geraucht, gelacht und geschimpft. Da machte man Theäter-

Darstellerin der Märchenprinzessin hieß Schäfer. Vielleicht Politik.

ein oder zwei Jahre später, unter der Intendanz Prasch, sah 1895 wurde eine große Theaterschlacht geschlagen,
ich ein Festspiel, die „Hohenzollern", das Prasch zur 100- Prasch übernahm die Leitung des Berliner Theaters in
jährigen Wiederkehr des Geburtstags des alten Kaisers ge- ,t % JH Berlin und nach wenigen Jahren mußte wieder ein neuer ln-
schrieben hatte. Dann hört die Zeit auf, in der ein Theater- tendant gewählt werden. Aus der Bürgerschaft heraus kam
besuch eine Ausnahme war. Mein Vater nahm mich mit in | das Verlangen, Dr. August Bassermann zum Inten-
den Teil, in dem der berühmte Fritz Krastel vom danten zu machen. Das Haupt der Gruppe dieser Königs-
Wiener Burgtheater die Titelrolle spielte. Krastel war macher war eine Dame. Sie war Schriftstellerin und schrieb
Mannheimer, sein Bruder betrieb hier eine Weinwirtschaft, unter dem Namen Franz Sicking. Von Haus zu Haus ging
die nach einer Rolle Fritz Krastels „zum Sohn der Wildnis" jjj ' ' diese Frau, auf deren Schultern gedrehte weiße Locken herab-
hieß. Das Alpenglühen in der Rütliszene machte auf mich ' ^jäKkk. hingen, mit ihren Listen. Sie sammelte Unterschriften aus
vielleicht noch mehr Eindruck als der illustre Gast. Die ^g JbSI^HHHIIH i,llcn Bürgerkreisen, um Widerstände im Stadtrat zu be-
ersten Opererlebnisse waren „Josef und seine Brüder" mit kämpfen. Im Stadtrat aber war Stadtrat Schindele Vor-
E r n s t K r a u s und wohl etwas später „Zar und Zimmer- j kämpfer der Kandidatur Bassermann. Und Bassermann
mann" mit dem jungen K r o m e r als Zar. Nach dem Zaren- wurde Intendant.

lied war ich in heller Begeisterung. Ich war bitter ent- Was heute für den Gymnasiasten der Sport und die Auto-
täuscht, als nach der Aufführung der Logenschließer Maier, mobile sind, war in unserer Jugend das Theater. In meinem

der an der linken Parkettüre nicht gerade sehr liebenswürdig --M»M«MHMgiB|^Mi Elternhaus waren die Thealerleute ständige Gäste. Die

Wache hielt — ein Inventarstück des Theaters — zu meinem t dacccdua™ Lissl, die Wittels und noch so viele andere kamen zu

Vater sagte: „Herr Waldeck, der muß awwer noch viel iJt^. A.LIOU0I DAooriKMAfNlN uns Am Schillerplatz aber steigerte sich das Interesse in's

lerne, bis er de Auguscht Knapp ersetze kann." Intendant des Nationaltlieaters von 1895 bis 1899. Riesenhafte, wenn die großen Bühnenkünstler in Mannheim

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