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Nationaltheater Mannheim [Hrsg.]
150 Jahre National-Theater Mannheim: 1779 - 1929 — Mannheim, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.20765#0019
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Szenengestaltung aus dem Geiste der literarisch-musika-
lischen Vorlage fand. Mühldorfers landschaftliche Motive
sind manchmal unverkennbar unserer Rhein-Neckar-Gegend
entnommen. Mitunter aber finden wir ihn auch in der allge-
meinen internatioalen Theatertypik befangen. Sein Bedürfnis
nach Naturtreue, nach Uebereinstimmung des Gegenstandes mit
der Wirklichkeit, spielt ihm in den historischen Stücken ge-
legentlich wohl einmal einen Streich und kündigt schon die
Periode eines nahenden nüchternen Dekorationsrealismus an.
Wie wenig er aber mit dieser Bewegung schon zu identi-
fizieren ist, beweist andererseits seine noch ganz starke
Hinneigung zum Zaubermärchen und zur phantastischen Aus-
stattungsoper, Gebiete, auf denen er — wenn auch hier schon
dazwischen mit naturalistischen Effekten arbeitend, wie dem
berühmten Wasserfall der Wolfsschlucht oder der Feuer- und
Wasserprobe der „Zauberflöte" mit ihrer übrigens herr-
lichen Architektonik — seine weitaus großartigsten
Leistungen vollbracht hat.

Weit mehr als seine Entwürfe, die glücklicherweise in
vier, von ihm selbst nachträglich angelegten, allerdings etwas
für den Gebrauch in der „guten Stube" in den Farben ver-
feinerten Sammelbänden, aber auch in einigen Werkstätten-
zeichnungen noch erhalten sind, manchmal ahnen lassen,
zeigt sich ein geradezu schöpferischer, dichterisch be-
schwingter Reichtum Mühldorfers in dem Augenblick, wo er
seinen Einfall mit technischen Mitteln zum Ausdruck bringen
kann. Etwa in der „Undine", die im ersten Vierteljahrhun-
dert seit 1850 circa 60 Aufführungen in Mannheim erlebte,
der von ihm szenisch erst im Sinne des romantischen Thea-
ters fertig komponierte Moment, wo Undine klagend am
Wasser umherirrt und Kühleborn im Kreise seiner Nymphen
und Nixen aufsteigt und sie mitnimmt. Hier bricht bei
Mühldorfer plötzlich der Mond durchs düstere Gewölk, sein
Glanz beleuchtet matt das Schloß Ringstetten und wird zu-
gleich vom Strom zurückgeworfen, über den jetzt schnee-
weiße Schwäne an jener Stelle ziehen, wo eben Undine ent-
schwand.

Für die Kulissen baute Mühldorfer unter dem Boden
verdeckte Wagen, in welche erstere gesetzt und vor- und
rückwärts geschoben werden konnten. .Auch für die Soffitten
wurden Gegengewichte angebracht, so daß sämtliche Deko-
rationen mit Leichtigkeit hinaufzuziehen und herabzulassen
waren." So schildert uns ein getreuer Schüler Mühldorfers,
der spätere Koburger Professor und Bühnen atelierleiter

F. Lütkemeyer, der selber in Mannhelm noch an den Aus-
stattungen zu „Undine" und „Dinorah" mitgearbeitet und
seine Koburger Firma 1864 mit Mühldorfers begabtem, schon
1867 verstorbenen, Sohne Wilhelm zusammen begründet
hatte, die Leistung seines Meisters, dessen technisches Grund-
system bis ins 20. Jahrhundert hinein, mit Verbesserungen
natürlich — des Ersatzes der Handkraft durch die hydrau-
lische, der Holz- durch Eisenkonstruktion —, beibehalten
worden ist.

Sein Ruhm als erste Autorität seiner Zeit verschaffte
Mühldorfer Aufträge für Bühneneinrichtungen u. a. an den
Hofbühnen von Dresden, Braunschweig, Karlsruhe, Han-
nover, das ihn einmal ganz zu entführen versuchte, und

ALOyS PRASCH

Intendant am Nationaltheater von 1892 bis 1895.

München (Residenztheater), ja selbst bis nach Basel, Zürich,
Prag und Bukarest. Für die Große Oper in Paris stattete
er drei Werke aus: die schon erwähnte „Dinorah", „Oberon"
und „Freischütz". Zahlreiche seiner großen Ausstattungen
haben auch andere bedeutende Bühnen wie Karlsruhe, Stutt-
gart, Wien, Frankfurt a. M., Wiesbaden, Köln, Hannover
übernommen.

Mühldorfer, der mit Auguste Wirth (gest. 1882) vermählt
war, besaß außer seinem schon erwähnten Sohne und Ge-
hilfen Wilhelm, der ihm 32jährig bald im Tode folgte, eine
Tochter Marie, welche Emil Heckeis Gattin wurde, und eine
jüngere Tochter Susanne, die sich mit einem der tüchtigsten
Schüler ihres Vaters vermählte, der auch dessen indirekter
Nachfolger in Mannheim wurde, mit dem von 1867—75 hier
als Maler und Maschinist tätigen Joseph Kühn, dem Sohne
des ehemaligen Mannheimer Baritonisten Karl Kühn.

In Mannheim herrsche „eins der sonderbarsten Verhält-
nisse, daß nämlich der Maschinist, zugleich Dekorations-
maler" — eine Personalunion, die übrigens auch damals zu
den Seltenheiten gehörte —, „die berühmteste Person am
Theater und der Liebling des Publikums ist." So lesen wir
in einem Reisebrief Eduard Devrients 1852, dessen Bericht
sich schon in einer beträchtlichen Uebertreibung gefällt, wenn
er von dem Theater Vincenz Lachners behauptet, daß „alle
Vorstellungen für Mühldorfer eingerichtet werden, er vor
anderen mit Verwandlungen und Theatercoups und Deko-
rationen hervorstechen muß, und daß er allein applaudiert
und hervorgerufen wird."

Im Prinzip hat Devrients Wutausbruch gegen die
„komplette Karikatur der Dekorationsgeltung" natürlich ihr
gut Teil Berechtigung: dort, wo das Bild den Geist und das
Wort tötet. Aber gerade Mannheim war dafür kein gut-
gewähltes Beispiel. Denn Vincenz Lachner war der letzte,
der sich und seine Arbeit von einer schönen Ausstattung an
die Wand drücken ließ. Und das Schauspiel, das Mühldorfer
viel weniger interessierte, wenn es sich nicht um aus-
gesprochene Feerien wie den „Sommernachtstraum" han-
delte, ging daneben seine eigenen Wege und wurde höchstens
gelegentlich durch die Aufbauten für die großen Sonntags-
opern in seiner stilleren Arbeit gestört. — Einen begeisterten
Anhänger fand Mühldorfer in dem größten Szeniker seiner
Zeit, Richard Wagner, der besonders dessen glück-
lichen und originellen Einfall pries, gelegentlich des Theater-
umbaus das Bühnenhaus vom Zuschauerraum zu trennen.

Werthers Mannheimer Leiden

Nach den Intendanten der kurfürstlichen Zeit
(bis 1802, dem Weggang Dalbergs) und der groß-
herzoglichen Zeit (bis 1859) wurde das Mannheimer
Nationaltheater durch ein Komitee geleitet. Die-
sem stand an Intendantenstelle ein Oberregisseur als

ADOLF BAUER

Schauspieler am Nationaltheater von 1846 bis 1897.

eigentlicher Theaterfachmann zur Seite. Unter
ihnen ist Dr. Julius von Werther besonders
bemerkenswert, zweimal war er künstlerischer Leiter
der Mannheimer Bühne: von 1868 bis 1872 und von
1877 bis 1884. In den von seinem Sohne bei A. Bong
u. Co. in Stuttgart 1911 herausgegebenen, außer-
ordentlich lesenswerten „Erinnerungen und
Erfahrungen eines alten Hoftheater-
intendanten" hat er in zwei Kapiteln seine
Mannheimer Zeit geschildert. Einige Abschnitte
daraus seien nachstehend wiedergegeben.

Wie Werther sein Amt in Mannheim antrat

Am ersten Weihnachtsfeiertage 1867, einem sonnigen
Wintermorgen, langte ich in der quadratischen Stadt an. Ich
ging sogleich an das Rheinufer. Nach der Sturm- und
Schneenacht, in der ich Weimar verlassen, wirkte der heitere,
fast südlich blaue-Himmel, der ruhig dahinfließende, mächtige
Strom auf mich wie erlösend. Der Gedanke, nach den auf-
regenden Konflikten der letzten Monate nunmehr nicht nur
mein eigener Herr, sondern auch der Herr über viele andere
geworden zu sein, meine eigenen künstlerischen Intentionen,
nicht diejenigen anderer ausführen zu dürfen, war mir ein
sehr erhebender. Ich atmete tief auf, dem „graulichen
Norden" entronnen zu sein, schaute sehnsuchtsvoll den
grünen Strom hinauf und dachte an Goethe, wie wohl es ihm
geworden war auf seiner Flucht gen Italien.

Unter Mittag suchte ich meine drei Komiteeherren in
ihrem Sitzungszimmer im Hof- und Nationaltheater auf. Da
stand in erster Linie der Vorsitzende des Komitees, Herr
H e c k e 1, Chef einer Musikalienhandlung (Notabene nicht
der Wagner-Heckel, sondern der Vater desselben), ein ganz
kleiner, dünner, bartloser, sehr alter Herr mit langen, flie-
genden, weißen Haaren und einer ganz dünnen, hohen
Stimme, die etwas Scheltendes hatte. Der Mann war zwar
eigensinnig, aber doch sehr verständig, keineswegs büro-
kratisch, sondern trotz seines kränklichen Alters fortschritts-
freudig, energisch und praktisch im Handeln. Ich verstand
mich mit ihm sofort und fand immer seine Unterstützung,
wenn ich mutig vorwärts ging. Dann war da ein Rechts-
anwalt Dr. Gentil, der juristische Beirat, ebenfalls ein kleines,
altes Männchen mit einem Ziegenbarte, von Charakter sehr
wohlwollend, im Urteil gescheit und geschmackvoll. Er
hatte noch in späteren Jahren eine jüngere Frau geheiratet,
die mich an die Frankfurter Frau Rat erinnerte, so wie ich
sie mir vorstellte: eine schöne, vollkräftige, resolute, heitere
Frau, die in allen ihren Aeußerungen ebenso naiv als tref-
fend war. Leider verlor er sie nach einigen Jahren, ein
Schmerz, der so groß war, daß ihm das Theater verleidet
wurde und er nicht lange darauf starb. Diese beiden Männer,
Heckel und Gentil, waren stets einerlei Meinung, wenn es
gegen den Dritten ging, den eigentlichen Rechnungsmenschen
des Theaters, einen Herrn Rümpel. Dieser Herr Rümpel
hatte eine größere Summe für den Pensionsfonds des Thea-
ters gestiftet, was er als reicher Rentier und Junggeselle sich
leisten konnte. Er war ein hödist rechtschaffener Mann, der
im Stillen Wohltätigkeit übte armen Theatermitgliedern
gegenüber, dabei durchaus uneigennützig; er verlangte keines-
wegs von den Damen Wohltat für Wohltat. Aber der gute
Rümpel hatte eine Schwäche, er war sehr eitel und die Eitel-
keit trübte sein Urteil, machte ihn voreingenommen. Ferner
liebte er es sehr, sich während der Vorstellungen hinter den

ALFRED BERNAU

Intendant am Nationaltheater von 1913 bis 1914.

Kulissen zu bewegen und sich von den Mitgliedern Artig-
keiten sagen zu lassen. Daß diese letzteren sich die schöne
Gelegenheit nicht entgehen ließen, ihre persönlichen Wünsche
nebst allerhand Theaterklatsch pro und contra Kollegen an-
zubringen, war nur natürlich. Mit dem auf diese Art gesam-

AUGUST KNAPP

Sänger, später Regisseur am Nationaltheater
von 1866 bis 1896.

melten Material ausgerüstet, kam dann Herr Rümpel in die
Komiteesitzung und hielt sich großartig orientiert. Seine
beiden Kollegen, die seine Art der Orientierung längst kann-
ten, gingen indes über seine Vorschläge stets zur Tagesord-
nung über. Der wackere Mann wurde einfach majorisiert.
Da er schwach von Willen war, pflegte er sich immer zu
fügen.

*

Die Zähmung des widerspenstigen
Choristen

Es war auf der Probe zur Braut von Messina. Ich hatte
es für unbedingt erforderlich gehalten, die Choristen, so lange
dazubehalten und zu dressieren, bis die Schillerschen Verse
ihnen flüssig aus den Mündern gingen und die Bewegungen
nicht schablonenmäßig, sondern individuell und energisch
herauskamen. Da trat plötzlich Lachners Leibchorist aus
dem Rahmen heraus und wollte mir eine Standrede halten des
Inhalts, ich dürfe die Herren vom Chor, die sehr wichtige
andere Aufgaben hätten, nicht mit derartigen Lappalien
kujonieren. Selbstverständlich verwies ich den Sprecher zur
Ordnung. Dieser ließ sich aber den Ordnungsruf nicht ge-
fallen, sondern wurde unverschämt. Obwohl ich mich nach
Kräften mäßigte, mußte ich ihm der Disziplin halber doch
energisch entgegentreten und wies ihn von der Bühne. Da-
raufhin wurde der Mensch immer heftiger, so daß ich den
Theaterfeldwebel rief und ihm befahl, den Mann hinaus-
zuführen. Unter Toben, Schreien und Schimpfen des

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