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Hehl, Ernst-Dieter [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 6: Stuttgart, 2002

DOI Artikel:
Weinfurter, Stefan: Papsttum, Reich und kaiserliche Autorität. Von Rom 1111 bis Venedig 1177
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https://doi.org/10.11588/diglit.34720#0086

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Stefan Weinfurter

»Urbans II. Wiederaufbauwerk in Deutschland«5, das die Einheit von Reich
und Kirche förderte, bildete in diesem Sinne die Grundvoraussetzung für eines der
merkwürdigsten Ereignisse, die sich im Mittelalter zwischen Papst, König und Für-
sten abspielten. Am 4. Februar des Jahres 1111, 12 Jahre nach dem Tod Urbans El.,
trafen in S. Maria in Turri vor Rom die Vertrauten König Heinrichs V. und die Unter-
händler von Papst Paschalis II. (1099-1118) zusammen. Man suchte die Bedingun-
gen zu klären, unter denen die Kaiserkrönung des letzten Saliers in Rom vollzogen
werden könnte6. Die Vereinbarungen, die dort in der Vorkirche zum Atrium von
St. Peter stattfanden, waren nicht nur aufsehenerregend, sondern für die Reichsge-
schichte vielleicht sogar epochal.
Was schon in den Tagen zuvor zwischen beiden Parteien besprochen worden
war7, wurde nun konkretisiert8: Die Seite des Papstes unterbreitete während dieser
Verhandlungen am 4. Februar 1111 das Angebot, Paschalis II. werde den Bischöfen
den Befehl erteilen, ihre vom Reich stammenden Regalien9 - Besitzungen, Rechte
und Einkünfte - an den König und das Reich zurückzugeben10. Die Bischöfe des
Reiches sollten sich von Reichsrechten und Reichsgütem trennen, von ihren Städ-
ten, Markgrafschaften und Grafschaften, von ihrem Recht auf Münze, Zoll und
Markt, auf Reichsvogteien, Höfe, Ministerialen und Burgen. Künftig sollten sie nur
mehr von den frommen Stiftungen, von den Schenkungen und Spenden der Gläubi-
gen leben. Der König aber müsse als Gegenleistung dafür auf die Investitur der
Bischöfe, auf die Einsetzung in das Bischofsamt, vollkommen verzichten.
Dieser Vorschlag des Papstes war - man kann es nicht anders sagen - auf die
völlige »Entmachtung« der Bischöfe gerichtet. Vorsorglich wurden sie an der Ver-
einbarung in der Marienkirche gar nicht beteiligt. Ja noch mehr: Ihnen wurde plötz-
lich die Rolle der Schuldigen zugewiesen. Dies wird in der Begründung, die Pascha-
lis II. am 12. Februar 1111 in der Peterskirche vortrug, deutlich zum Ausdruck ge-
bracht11: Nicht die Investitur durch den König, so heißt es da, sei das Grundübel, in
das die Kirche geraten sei, sondern die Verstrickung der Reichsbischöfe in die welt-
lichen Angelegenheiten (curae seculares) sei daran schuld. Die Diener des Altares sei-
en Höflinge (ministri curie) geworden. Nicht der investierende König, sondern die
mit »weltlichen Gerichtsbarkeiten« (secularia iudicia) und weltlichen Machtgrundla-

5 Becker, Urban II. (wie Anm. 2), S. 165.
6 Carlo Servatius, Paschalis II. (1099-1118). Studien zu seiner Person und seiner Politik (Päpste
und Papsttum 14), Stuttgart 1979, bes. S. 214ff.; Stefan Weinfurter, Reformidee und Königtum
im spätsalischen Reich. Überlegungen zu einer Neubewertung Kaiser Heinrichs V., in: Reform-
idee und Reformpolitik im spätsahsch-frühstaufischen Reich, hg. von Stefan Weinfurter un-
ter Mitarbeit von Hubertus Seibert (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kir-
chengeschichte 68), Mainz 1992, S. 1-45, bes. S. 33ff.
7 Servatius, Paschalis II. (wie Anm. 6), S. 219f.; MGH Constitutiones 1, Nr. 100, S. 150f.
8 MGH Constitutiones 1, Nr. 83-86, S. 137-139.
9 Grundlegend zum Begriff Johannes Fried, Der Regalienbegriff im 11. und 12. Jahrhundert, in:
Deutsches Archiv 29, 1973, S. 450-528; zusammenfassend: Claudia Märtl, »Res Ecclesiae«,
»beneficia ecclesiastica« und Regalien im Investiturstreit, in: Chiesa e mondo feudale nei secoli
X-XII. Atti della dodicesima Settimana intemazionale di studio. Mendola, 24-28 agosto 1992
(Miscellanea del Centro di studi medioevali 14), Milano 1995, S. 451-472.
10 Uta Renate Blumenthal, »Patrimonium« and »Regalia« in 1111, in: Law, Church and Society.
Essays in Honor of Stephan Kuttner, Philadelphia (Penn.) 1977, S. 9-20.
11 MGH Constitutiones 1, S. 140-142, Nr. 90.
 
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